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Erfüllte Zeit01. 11. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Die Seligpreisungen“ (Matthäus 5, 1 – 11a) von Schwester Maria Andreas Weißbacher Für mich gehört dieser Text zu den beglückendsten Stellen des Neuen
Testamentes; nicht weil manche Übersetzer den doch sehr innigen
Begriff selig einfach mit glücklich wiedergeben, sondern wegen des
faszinierenden Lebensprogramms, das darin enthalten ist. Millionen
Menschen haben sich bemüht, danach zu leben. Natürlich sind diese
Thesen ein klares Kontrastprogramm zu den gesellschaftlichen Normen
wohl jeder Zeit. In unserer Welt, die ganz besonders den Starken,
Schnellen, Erfolgreichen vergönnt, in dieser Welt, die sich
getraut, rasch, billig und jederzeit den Himmel, das ersehnte Glück,
zu versprechen, müssen solche Worte sehr verwegen klingen. Doch
zeigt die alltägliche Erfahrung nicht, dass jene Verheißungen ihre
Gläubigen in immer tiefere Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung
bringen? Vor wenigen Tagen hat die französische Kirche
des 100. Geburtstages von Madeleine Delbrel gedacht. Von
dieser bei uns weitgehend unbekannten Frau stammt folgendes Gebet:
“Gib, dass wir Christus nicht dem Maß der Welt angleichen,
sondern die Welt auf das Maß Christi hin ausweiten. Lehre uns, an
keine anderen Anleitungen zum Glück zu glauben, als an die der
Seligpreisungen!“ Wer war sie? In Paris ist sie traditionell katholisch getauft worden und
dann als sehr begabte Jugendliche in einen intellektuellen Atheismus
hineingeraten. Sie hat jedoch die Gottesfrage nie ganz
ausgeklammert, weil ebenfalls sehr gescheite Jugendliche aus ihrem
Freundeskreis Gott als eine Realität ihres Lebens angenommen
hatten. Mit 20 Jahren wurde ihr eine nach ihren Worten „gewaltige“
Gotteserfahrung geschenkt, von da an hat sie einfach „nicht mehr
so leben können, als ob es ihn nicht gäbe“. Sie ist in eine
militant kommunistische Vorstadt gezogen. Leidenschaftlich hat sie
sich mit dem Evangelium und mit
den Schriften Lenins auseinandergesetzt und
sich dann dafür entschieden, das Evangelium Jesu in ihrer
Umgebung zu verleiblichen, wie sie selbst es genannt hat. In
Zusammenarbeit mit den bisher so gemiedenen Kommunisten wurde Ivry während
des Krieges zu einem beispielgebenden Ort sozialer Hilfsdienste.
Zwei Kriege hat Delbrel erlebt, sie hat sich hineinbegeben in die
Dunkelheit menschlicher Bosheit
und hat von daher gelernt: „ Wer Gott umarmt“, hat sie
einmal gesagt, „findet in seinen Armen die Welt und wer in seinem
Herzen das Gewicht Gottes aufnimmt, empfängt auch das Gewicht der
Welt.“ Madeleine hat getrauert, hat sich der Menschen erbarmt, hat
nach Gerechtigkeit gehungert und gedürstet wie vielleicht wenige
Menschen. Doch hat sie auch immer wieder darauf hingewiesen,
besonders im Gespräch mit Menschen, die das Evangelium auf ein
Handbuch für soziales Handeln reduzieren wollten, dass christliche
Gerechtigkeit weit über eine ökonomische Güterverteilung hinaus
weist. Nie hat sie die gewaltfreie Konfrontation mit ihrem
atheistischen Umfeld gescheut. Sie hat diese als sehr wertvolle
Herausforderung für die immer wieder notwendige Bekehrung zu
lebendigerem Glauben gesehen. Kurzlebigen Glücksverheißungen hat
sie nichts abgewinnen können, Oberflächlichkeit ist niemals ihres
gewesen. Total eingelassen hat sie sich auf die Nöte und Konflikte,
auf die Ängste und Sehnsüchte ihres völlig neuen sozialen
Umfeldes. Dem Leid und der Bosheit unserer Welt ist sie nicht ausgewichen. Als
Antwort darauf hat sie sich bemüht, die beständige Gegenwart eines
liebenden Gottes in allen Bereichen menschlichen Lebens noch stärker
und glaubwürdiger zu bezeugen. Dabei hat sie sehr intensiv
und schmerzlich den Kontrast zur Gesellschaft und die Einsamkeit
jener erfahren, die in dieser Hochspannung leben, d.h. einesteils
ganz dieser Welt zugehören und andrerseits diese Welt immer wieder
im Licht des auferstandenen Jesus deuten sollen. Das Osterlicht auch
am Karfreitag bezeugen, glauben im Namen der Welt, hoffen für die
Welt und leiden anstelle der Welt, darin hat sie die für sich gültige
Nachfolge Jesu verstanden. Christen sollen Inseln der Anwesenheit
Gottes sein in einem nach-christlichen Zeitalter. Prophetisch warnt
sie vor der kirchlichen Versuchung, sich nur mit sich selbst zu
beschäftigen oder nur Religionsverwalterin zu sein. Verkündigung des Glaubens gehört für sie zu den Grundaufträgen jedes
Christen, doch ohne nach Erfolg und irgendwelcher Macht zu streben,
ohne den Wunsch, bekannt zu werden und irgendetwas zu bewirken. Eine
Vorahnung Gottes hat Madeleine Delbrel bei unzähligen personalen
Begegnungen vermitteln wollen, -
in einem Leben der einfachen Leute auf der Straße durch ein
absichtsloses Gutsein, das sie von Christus geschenkt bekommen hat.
Glauben verkünden heißt nie, den Glauben mitteilen. Aus der jener
gewaltigsten Erfahrung ihres Lebens heraus weiß sie, dass Gott es
ist, der den Glauben schenkt. Alle Glückszustände des Lebens hat sie relativiert auf das einzig
bestehende Glück, auf Gott hin – und ist dabei wirklich selig
gewesen. Von ihr können wir lernen: Lehre uns an keine Anweisungen zum Glück zu
glauben als an die der Seligpreisungen.
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