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Erfüllte Zeit21. 11. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Der König am Kreuz“ (Lukas 23, 35 – 43) von
Veronika Prüller-Jagenteufel Da
stirbt einer elend bei der Hinrichtung und hat doch verkündet, er
wird sein Volk erneuern und die Machtverhältnisse verändern.
Jedenfalls haben das viele seiner Anhänger gehofft. „König der
Juden“ hat man ihn genannt, als die Menge ihm zujubelte – jetzt
hängt er am Kreuz. Die Herrscher, die er in Frage stellte, sind
gewohnt, gegen Rebellen rigoros vorzugehen. Viele schauen stumm zu
– zu sagen haben sie in der großen Politik ohnehin nichts. Die führenden
Männer und die Soldaten verspotten den Sterbenden. Die, die sich
arrangiert haben, und die Handlanger der Herrschenden kommen sich
stark vor im Vergleich zur Ohnmacht des gescheiterten Revolutionärs.
Und
die zwei, die mit Jesus zusammen gekreuzigt werden? Aus ihnen
sprechen idealtypisch zwei Reaktionsweisen auf dieses Scheitern: Die
eine ist wütende, enttäuschte Verzweiflung: Wozu war Dein ganzes
Predigen gut, wenn wir nun ausgeliefert sind wie eh und je? Die
andere ist die Hoffnung auf ein Danach, darauf, dass das Reich
dieses hingerichteten Königs dennoch existiert.
Die
Hoffnung auf dieses Danach und Jenseits wurde zu einem Grundzug des
Christentums – ermutigend für alle, die wie Jesus im Einsatz für
Gerechtigkeit an den Machthabern ihrer Zeit scheiterten; zuweilen
aber auch recht praktisch für die Mächtigen, die – auch als sie
selbst Christen geworden waren – alle aus dem Evangelium
stammenden Wünsche nach Freiheit, Gleichheit und
Gemeinschaftlichkeit auf das Jenseits verweisen konnten.
Der
Umgang mit der Macht blieb zwiespältig im Christentum, wie
wahrscheinlich jeder menschliche Umgang mit der Macht. So war und
ist es bis heute zwiespältig, Christus als König zu feiern, wie es
die römisch-katholische Kirche heute wie jedes Jahr am letzten
Sonntag des Kirchenjahres, dem Christkönigsonntag, tut.
Zum einen ist da die ideelle Entmachtung aller irdischen Herrscher durch den einen Herrn und König, dessen Gebot alle menschlichen Fahneneide außer Kraft zu setzen vermag. Angesichts seiner Allmacht ist jedes menschliche Machtgebahren lächerlich und klein. Zum anderen war und ist da aber auch immer die Möglichkeit, dass die Herrscher dieser Welt sich selbst als dem himmlischen König ähnlich, als ihm besonders nahe, als seine legitimen Stellvertreter sehen und als solche wie er absoluten Gehorsam fordern. Und die Menge schaut zu und nicht allen gelingt es, zwischen Gott und dem König gut zu unterscheiden – oder auch zwischen Gott und dem Präsidenten. „Seit Sie Präsident sind, Mr. Bush“, sagte eine begeisterte Wählerin zu George Bush nach seinem Wahlsieg, „seit Sie Präsident sind, ist endlich Gott im Weißen Haus.“ Für meine Ohren klingt das nach Blasphemie.
Wir
sind sehr gewöhnt, in Über- und Unterordnungen zu denken, und so
erwarten wir die Entmachtung irdischer Herrscher von einem
himmlischen Überherrscher, von einem Obersten der Oberen, vor dem
die, die hier anderen anschaffen können, dann selbst in die Knie
gehen müssen. Ob da nicht bloß der Wunsch drinsteckt, die einmal
am Boden zu sehen, die jetzt so unbezwingbar erscheinen. Das
Bild des Gekreuzigten, das zum zentralen Symbol des Christentums
wurde, zeigt Gott nicht als einen Potentaten, nicht als strahlenden
Sieger, nicht als unumschränkten Herrscher, sondern als einen, dem
Gewalt angetan wird, als einen, der gequält und verhöhnt wird.
Darin
liegt eine viel radikalere In-Frage-Stellung aller Herrschaft von
Menschen über Menschen, und sie kommt von der konsequenten Hingabe
Jesu für seine Botschaft vom Reich Gottes. Die Perspektive dieses
Reichs ist radikaler als die Vorstellung von einem guten König der
Könige. Es ist die Vision von der Aufhebung aller Herrschaft, die
Vision von Miteinander und Gemeinschaft, von Egalität, Frieden und
Gerechtigkeit unter den Menschen – geboren aus einer Haltung, die
nicht den eigenen Vorteil sucht, sondern sich in den Dienst der
anderen stellt.
Die
Radikalität dieser Haltung war damals und ist wohl bis heute so
manchem, der seine Interessen durchsetzen kann, im Wege; wegen
seines radikalen Glaubens an die Würde aller und die Verantwortung
für die Schwächsten ist Jesus bis heute unbequem und sind es seine
NachfolgerInnen. Sie machen nicht mit im Gerangel um den größten
Einfluss, im allgegenwärtigen Konkurrenzkampf und fragen
stattdessen nach den Opfern, nach den Schwachen und an den Rand Gedrängten.
Sie sehen in den geringsten Brüdern und Schwestern die eigentlichen
Könige und Königinnen der Welt und erheben in ihrem Namen
politische Forderungen.
Angesichts
eines immer rücksichtsloser werdenden weltweiten Kapitalismus,
angesichts von Kriegen und zunehmender Gewalt und Armut scheint es
derzeit, als würde diese messianische Vision der Gerechtigkeit
unter den Menschen wieder einmal schmerzlich scheitern – zum Spott
all derer, die sich im herrschenden System Vorteile erhoffen, und
unter den stummen Blicken der vielen, die sich manipulieren lassen.
Was
soll dann das Reden von dieser Vision, wenn sie doch nichts verändert?
Der verzweifelten Enttäuschung steht auch heute das Vertrauen gegenüber,
dass die Macht der göttlichen Liebe auch das Scheitern der Hoffnung
auf Menschlichkeit noch zu umfangen vermag. Dieses Vertrauen ermöglicht
dann nicht nur das Warten auf ein besseres Jenseits, sondern den
Einsatz für das Reich Gottes hier und jetzt.
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