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Erfüllte Zeit23. 01. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Matthäus
4, 12 – 23 von
Dr. Helga Kohler-Spiegel
Jesus
steht am Beginn seiner öffentlichen Predigt. Direkt vor dem
heutigen Evangelium sind die Begegnung Jesu mit Johannes dem Täufer
und die Versuchungen Jesu überliefert. Jesus ist dem Täufer
begegnet, dessen Predigt auf viele offene Ohren stößt. Der Ruf des
Täufers beginnt mit denselben Worten, die Jesus wenig später auch
für seine Botschaft verwenden wird: „Kehrt um! Denn nahegekommen
ist das Königtum der Himmel.“ (Mt 3,2 und 4,17b) Im jüdischen
Kontext wird der Name Gottes nicht ausgesprochen, deshalb spricht
das Matthäus-Evangelium immer vom „Königtum/Reich der Himmel“
statt vom „Reich Gottes“. Johannes
muss eine eindrückliche, imposante Persönlichkeit gewesen sein, er
scheint die Menschen mit seinen Gerichtspredigten wachgerüttelt zu
haben. Jesus hat Johannes den Täufer kennen gelernt, aber Jesus ist
nicht dem Weg des Täufers gefolgt. Diese drohende, massive Predigt
voller Gerichtsbilder war nicht die Botschaft Jesu. Zwischen
der Begegnung mit dem Täufer Johannes und dem ersten öffentlichen
Auftreten Jesu, von dem wir heute hören, sind uns die Versuchungen
Jesu überliefert. Jesus hat sich in die Wüste zurückgezogen und
ringt um seine Berufung, in der modernen Sprache würden wir
wahrscheinlich sagen: er sucht nach dem, was seins ist, was sein
Leben ausmacht. Zurück aus der Wüste, gestärkt auf seinem Weg,
wird seine Botschaft erstmals öffentlich. Dieser
Prozess verläuft bis heute nicht anders: Meist ist die Zeit
anstrengend, bis klar ist, was „meines“ ist, was ich machen
will… Wenn es dann klar ist, ist es meist auch leichter, anderen
davon zu erzählen, dann ist es auch wichtig, andere einzubeziehen,
nach außen klar zu dem zu stehen, was ich für mein Leben als
wichtig entdeckt habe… An
dieser Stelle stehen wir mit dem heutigen Text auch im Verlauf des
Matthäus-Evangeliums. Und Jesus beginnt zu verkündigen, „helles
Licht“ wird er genannt, das ist sein erster „Titel“, Licht für
die Menschen zu sein, das ist sein Auftrag. Und es
wird zusammengefasst, was Jesu Weg prägen wird. Es ist wie eine
Ouvertüre – alle Themen kommen schon vor: der Ruf zur Umkehr –
ohne jede Bedingung, nur mit der Begründung, dass das Königtum
Gottes nah ist. Die ersten Berufungen, sein Leben als Wanderprediger
in diesem kleinen Gebiet Galiläa… Er lehrt in den Synagogen –
gut jüdisch, verkündet die frohe Botschaft „von der basileia“
und heilt die Menschen von allen Krankheiten und Leiden. So
einfach ist das. Jesus verlässt sein Heimatdorf und zieht in die nächst
größere Stadt am See Genesaret: Kapharnaum (mit Betsaida, auf der
anderen Seite des Jordan). Eine Handelsstadt, die Leben bietet, eine
bekannte Synagoge, eine Kaserne, eine Zollstation… Und vor allem
wohnt Petrus mit seiner Frau und seiner Familie in diesem Gebiet.
Das Haus wird ihm zur Heimat werden, dort weiß er sich willkommen.
Petrus und sein Bruder werden die ersten sein, die sich Jesus
anschließen. „Kehrt
um“, so lautet Jesu Botschaft. Verändere die Perspektive, verändere
den Blickwinkel, schau die Welt aus einem anderen Winkel an. Schau
auf das, wo Du sehen kannst, dass Neues wächst, dass die Welt ein
bisschen menschlicher wird. Deshalb ist die Verkündigung der
Botschaft mit dem Heilen der Krankheiten und Leiden verbunden. Wie
soll ich jemandem glauben, dass er mich liebt, wenn seine Taten
diese Worte nicht bestätigen? Wie soll ich einer Freundin glauben,
dass sie mich mag, wenn sie nie nachfragt, wie es mir geht? Wort und
Tat müssen übereinstimmen, sonst sind wir enttäuscht, verletzt,
zornig – wie auch immer. Seine heilenden Kräfte machten Jesus
schnell bekannt, viele Menschen wollten von ihm geheilt werden. Er
heilte – so heißt es im heutigen Text ganz lapidar – die
Menschen von ihren Krankheiten. Das, was er verkündigt, setzt er
um. Endlich einer, bei dem Worte und Taten übereinstimmen, endlich
einer, dessen Wort wir vertrauen können, der, wenn er Ja sagt, auch
Ja meint und dabei bleibt, einer, dessen Wort das bewirkt, was er
verspricht – dieser Herrschaftsbereich des Guten ist wirklich da. Menschsein
heißt im jüdisch-christlichen Menschenbild aber auch, die Möglichkeit
zum Guten wie zum Bösen zu haben. Und das ist ein zentraler Punkt:
Mit Jesus ändert sich das Menschenbild: Mit Jesus wird sichtbar,
dass der Mensch seine Möglichkeit zum Bösen nicht leben muss.
„Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe!“ Vielleicht stimmt es
ja doch, dass wir als Menschen nicht nur die Fähigkeit zum Bösen
haben, sondern auch die Fähigkeit, diese Möglichkeit nicht zu
leben. Der Mensch kann gut sein – das zeigen Menschen in allen
Jahrhunderten und in allen Kulturkreisen. Die
ersten Jünger haben den Schritt zur Veränderung riskiert. Sie
setzen die Botschaft „Kehrt um“, verändere dein Leben – tatsächlich
um. Viele von uns träumen ja davon, das Leben radikal zu verändern,
nicht nur ‚mal zwei Wochen Urlaub, sondern richtig – aussteigen,
noch mal was anderes zu machen… Wer es aber gewagt hat, das eigene
Leben wirklich zu verändern, hat wahrscheinlich auch erlebt, dass
das irritiert. „Das kannst du doch nicht machen, einfach verändern,
einfach aussteigen, was sagen denn die anderen, deine Familie, deine
Freunde…. Für die ersten Jünger war es vermutlich auch nicht
einfach, jüngere Kinder sagen bei dieser Stelle sehr deutlich: Bin
ich froh, dass Jesus nicht meinen Papa gerufen hat. Kinder wagen es
noch, die Radikalität des Textes ernst zu nehmen. Manche
Nachrichten erinnern uns an die eigenen Fragen, was mache ich denn
aus meinem Leben. Welche Kompromisse gehe ich ein, aus
Konfliktscheu, aus Bequemlichkeit, weil ich es längst so gewohnt
bin? Was mache ich aus meinem Leben – angesichts dessen, dass die
Lebenszeit begrenzt ist? Die
Katastrophe, die das Seebeben in Südostasien ausgelöst hat, hat
auch unsere Herzen durchflutet und die Frage unvermeidlich gemacht:
Was mache ich aus meiner eigenen Lebenszeit? Wofür investiere ich
mich? Was ist es wert….? Wir sind herausgerufen – wie die Jünger
– diese Fragen für uns selbst zu beantworten. Und wir sind
gerufen, in unserem eigenen Umfeld, in unserer überschaubaren
Region, in unserem „Galiläa“ die frohe Botschaft zu verkünden
und Leiden zu lindern und zu heilen. Wir
wissen längst, dass diese Welt nicht einfach gut ist. Aber die
Botschaft Jesu ruft uns immer wieder heraus, dem Leiden auf dieser
Welt nicht noch mehr Leiden durch unsere Taten hinzuzufügen, das
Leiden, das es auf dieser Welt gibt, nicht durch unser Handeln zu
vermehren, sondern zu lindern. Das ist unser Auftrag – durch unser
Tun zu heilen, zu trösten, zu lindern… Die „Frohe Botschaft“
sagt nicht, dass es kein Leid mehr auf der Welt gibt, das hat Jesus
nicht gesagt. Sondern er hat das Leid gesehen und deutlich gemacht,
dass wir entscheiden, ob wir selbst das Leiden auf dieser Welt
lindern oder durch unsere Taten das Leiden vermehren. Es
liegt an uns……. Helga
Kohler-Spiegel, Dr. theol., Leiterin des Amtes für Relgionspädagogik
St. Gallen und Professorin für Religionspädagogik in Feldkirch/Österreich.
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