Erfüllte Zeit29. 06. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
"Das
Messiasbekenntnis des Petrus und die Antwort Jesu" (Matthäus
16, 13 - 19) von
Univ. Prof. Dr. Wolfgang Langer So
lautet der Titel, den der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer
seinem „Bericht einer Gefangenschaft“ gegeben hat. Als Pfarrer
der „Bekennenden Kirche“ war er von den Nazis verfolgt und als
Soldat an die Ostfront geschickt worden. Von 1945 bis 1949 hat er
das Grauen russischer Gefangenenlager erlebt und in seinem
„Bericht“ beschrieben, der 1951 als Buch erschien. Das
Wort Jesu an Petrus wandte er zeichenhaft auf sein eigenes Schicksal
an: „Du wirst deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich
fesseln und führen, wohin du nicht willst.“ Aber er hat dabei
nicht nur an sich und seine Mitgefangenen gedacht. Es wird ihm zum
Gleichnis für das Leben von Menschen, denen die Hoffnung des
christlichen Glaubens verloren gegangen ist. Ohne Aussicht auf eine
Zukunft jenseits des Todes leben sie wie gefesselt als Sklaven der
irdischen Verhältnisse. Freilich
gibt es die Erfahrungen des „Glücks dieser Erde“. Sie haben
ihren Sinn in sich. Aber wir alle wissen nur zu gut, dass sie
begrenzt und wie vergänglich sie sind. Obwohl wir vielleicht für
lange Jahre unseres Lebens keinen Zweifel daran haben, dass wir
unser Tun und Lassen im Wesentlichen selbst bestimmen. Wir bemühen
uns wohl auch meistens, nach unserer bestmöglichen Einsicht und
unserem Gewissen entsprechend zu handeln. Und
doch gibt es Situationen, in denen uns „die Hände gebunden“
sind. Wo wir nicht so können, wie wir wollen. Wo die Umstände stärker
sind als wir: Da muss eine Mutter, ein Vater ohnmächtig zuschauen,
wie das eigene Kind in sein Unglück rennt. Da lässt sich ein
Missverständnis nicht und nicht aufklären, weil der andere
eigensinnig auf seiner Meinung, seinem Vorurteil beharrt. Da ist
irgendwann aus einer vielleicht kleinen Schuld eine Feindschaft
entstanden, und alle Versöhnungsversuche scheitern. Da wird jemand
Opfer einer böswilligen Verleumdung und kann sich nicht wehren;
hinter seinem Rücken wuchern die Gerüchte, vernichten seinen guten
Ruf, vielleicht sogar seine Existenz. Das
sind die Martyrien des Alltags. Sie schaffen keine Heldengestalten,
keine heiligen Märtyrer wie Petrus und Paulus, die noch nach
Jahrhunderten verehrt werden. Von außen gesehen erscheinen sie
klein und unansehnlich. Aber wen es trifft, der wird davon verletzt:
in seinem Selbstbewusstsein, in seinem Lebensmut. Er verliert ein Stück
seiner Freiheit, über sich und sein Handeln zu verfügen. Was
wir in solchen Situationen erfahren, nennen wir für gewöhnlich
Schicksal: etwas, das von irgend wo her über uns kommt. Wir wissen
nicht, warum. Es nimmt uns etwas – mehr oder weniger – von der Möglichkeit,
unsere Zukunft selbst zu gestalten. Es durchkreuzt unsere Lebenspläne.
Ist wirklich wie ein Kreuz, das uns aufgelegt wird. Das wir tragen müssen,
ob wir wollen oder nicht, und an dem wir am Ende sterben. Nicht
aufrecht, sondern kopfunter: wie Petrus. Was
bleibt uns? Aufgeben? Uns stumm in unser Schicksal ergeben? In dem
Abschnitt des Evangeliums, den wir gehört haben, lautet das letzte
Wort Jesu an Petrus: „Folge mir nach!“ Und das wird einige Verse
später noch einmal wiederholt: „Du aber folge mir nach!“ (Joh
21, 22b). Da ist einer voraus gegangen – ins Leiden und Sterben.
Aber er hat es nicht nur passiv erduldet. Er hat in freiem
Entschluss eingewilligt in den Willen Gottes: „Soll ich den Kelch
nicht trinken, den mir mein Vater gegeben hat?“ (Joh 18, 11b). Die
anderen Evangelien erzählen von einem inneren Kampf Jesu, der dem
vorausgeht: „Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir
vorüber; aber nicht wie ich will, sondern wie du willst“ (Mt 26,
39). Auch wenn wir nichts mehr tun können, so können wir doch
schließlich noch zustimmen. Unseren Willen einschwingen lassen in
den Willen Gottes, wenn auch nach langem Ringen. Das ist die letzte
Freiheit, die uns bleibt. So bleibe ich Mensch, selbstbestimmt
bis zum Ende. Aber
es ist ja nicht das Ende. Der hier mit Petrus redet, ist der
Auferstandene. Die ihm nachfolgen bis in ihr eigenes Sterben hinein,
haben die Verheißung eines neuen, unvergänglichen Lebens: „Es
ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich sie
auferwecke am letzten Tag“ (Joh 6, 39). Wenn alle Fesseln des
Irdischen abfallen, bricht eine neue, noch kaum zu ahnende Freiheit
an. Die uns jetzt schon geschenkte „herrliche Freiheit der Kinder
Gottes“ wird sich in Ihm vollenden. Was heute noch unter vielen
Unfreiheiten verborgen ist, wird offenbar werden. |