Erfüllte Zeit06. 07. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
Frater Bernhard Eckerstorfer (Markus 6, 1b - 6 ) Schon
an verschiedenen Orten hatte Jesus Wunder vollbracht. Nun kommt er
in seine Heimatstadt. Wie auch sonst lehrt er in der Synagoge. Die
Menschen fragen bewundernd und verwundert: “Woher hat er das
alles?” Doch das Staunen schlägt gleich in Entrüstung um: “Ist
das nicht der Zimmermann, der Sohn Marias?” Die Menschen in
Nazareth verkennen ihren Propheten, weil er ganz aus ihrer Nähe
stammt. Jesus ist für sie nicht von weit her. Also kann auch das,
was er sagt und tut, nicht weit her sein. Die Leute in Nazareth sind
blind für die Gegenwart Gottes unter ihnen, weil sie Jesu Gesicht
schon kennen. Sie sind taub für sein befreiendes Wort, weil ihnen
seine Stimme nicht neu ist. Sie verschließen sich seinen heilenden
Händen, weil es diese Hände waren, die schon in der Werkstatt des
Josef ihre Stühle und Tische fertigten. Und zugleich kommt Jesus
ihnen von zu weit her. Er passt nicht mehr zu ihnen; er lässt sich
nicht in das gewohnte Bild, das sie von ihm haben, einordnen. Er ist
zum Eindringling geworden, zum Außenseiter, zum Fremden. “Und sie
nahmen Anstoß an ihm und lehnten ihn ab”, schreibt Markus.
Die
Einstellung der Menschen von Nazareth ist unserem postmodernen
Lebensgefühl nicht wirklich fremd. Ist nicht auch für uns oft
etwas erst dann von Bedeutung, wenn es außergewöhnlich ist, wenn
es von weit her kommt und uns bisher unbekannt war? Der Palmenstrand
in der Werbung etwa will uns Glauben machen, die angepriesene
Schokolade sei von einer anderen Welt. Hegen wir aber nicht auch
zugleich eine tiefe Abneigung gegen alles, was unsere Gewohnheiten
übersteigt? Das Hotel im fernen Urlaubsort muss möglichst unserem
Heim entsprechen; und wenn es dort nicht auch Schweinsbraten und
Bier gibt, dann hat das Exotische seinen Reiz auch schon wieder
verloren und man träumt nur noch von zuhause.
Begegnen
uns diese Gedanke nicht auch im Glauben? Das kommt von weit her, das
muss schon etwas sein?! Und so suchen wir auch in der Religion das
Exotische, ob es nun aus dem Fernen Osten oder aus dem Land der
unbegrenzten Möglichkeiten stammt: buddhistische
Meditationstechniken und Indianertänze sind in Mode - aber bloß
als nette Bereicherung, nicht mehr. Das Christentum scheint dagegen
zur alltäglichen Einrichtung verkommen. Wir meinen, seine Riten und
seine Botschaft genau zu kennen und nur noch zur Dekoration intimer
Feiern gebrauchen zu können. Und doch - wie fern ist es uns
geworden, das scheinbar Altvertraute; wir kennen es nicht mehr. Ähnlich
wie Jesus für die Menschen in Nazareth ist uns das Christentum zu
vertraut und gleichzeitig fremd. Wir glauben, es durchschaut zu
haben. Und so ist es unansehnlich geworden; es hat weithin sein
Ansehen verloren.
Das
heutige Evangelium führt uns dagegen vor Augen, wie schwer es zu
begreifen ist, dass Gott im Kleinen, Unscheinbaren und Gewöhnlichen
erscheint und gerade darin der ganz Andere bleibt. Die Leute in
Nazareth und viele nach ihnen haben ihn übersehen, weil sie Gott
nicht zutrauten, dass er sich so weit herab lässt und sich für sie
so klein macht. Gott wollte aber kein Außerirdischer bleiben;
sondern er hat in Jesus unser Schicksal angenommen. Deshalb ist Jesu
Verhalten in Nazareth ein Spiegel, wie Gott unserer Welt begegnen
und uns zur Nachfolge führen möchte.
Markus
zeichnet ein erstaunliches Bild von Jesus, der selbst staunt. “Und
er wunderte sich über ihren Unglauben”, heißt es. Gerade diese
Kraft, sich zu wundern und sich verwunden zu lassen, haben die
Menschen in Nazareth nicht. Sie können ihn nicht in ihr
vorgefertigtes Weltbild einordnen; dazu ist er ihnen zu nahe
gekommen und zu fremd geworden. Sie wählen den schmerzlosen Weg:
sie reduzieren Jesus aufs Unbedeutende, stoßen ihn aus und nehmen
ihr gewohntes Leben wieder auf. Jesus wählt nicht diesen
einfacheren Weg, der niemandem weh tut und die Wirklichkeit verdrängt.
Bis zum Kreuz wird er verkannt und selbst von den Seinen verlassen,
die nie damit zu Rande kommen, dass er nicht in dieser Welt aufgeht. Faszinierend,
wie Jesus trotzdem seinen Auftrag erfüllt und sich und Gott gegenüber
treu bleibt. So konnte er in Nazareth keine Wunder tun, weil er eben
kein Macher und kein exotischer Wunderheiler ist. Und doch, seiner
Sendung treu, nimmt er dann einige Kranke zu sich und heilt sie. Er
hat keine Ressentiments und sucht keine Revanche. Dann zieht er
weiter - nicht beleidigt, wohl aber erstaunt; nicht verbittert und
doch betroffen; nicht entmutigt, allerdings zutiefst verletzt von
seinem eigenen Volk. Der Weg Jesu ist nicht einfach. Aber auf diesem
Weg bleiben wir Gott und uns selbst treu. Dann können wir noch froh
bleiben und fruchtbar wirken, auch wenn wir auf Unverständnis und
Ablehnung stoßen. Eine starkmütige und demütige Form der Freiheit
wird uns da eröffnet - meinen Sie nicht? |