Erfüllte Zeit

13. 07. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

„Die Aussendung der zwölf Jünger“ (Markus 6, 7 – 13)

von Veronika Schwed

 

Dieser Text aus dem Markusevangelium, der sich ähnlich auch bei den Evangelisten Matthäus und Lukas findet, hat mich schon als Jugendliche sehr berührt und fasziniert. Jesus Christus gibt seinen Jüngern darin Grundregeln mit, wie das Reich Gottes zu verkünden ist. Diese Grundregeln schrecken auf den ersten Blick ab, weil sie so radikal sind. Und doch reizt es mich immer wieder, danach zu leben. Diese Radikalität ist für mich sowohl anziehend als auch überfordernd. Ich greife einige Aspekte dieses Textes heraus. Es ist eine subjektive Auswahl, das, was mich bewegt.

 

Zuerst einmal: Jesus schickt seine Jünger zu zweit auf den Weg. Das entspricht sowohl der praktischen Vernunft und Lebensweisheit als auch dem Grundsatz, dass christliches Leben ein Miteinander bedeutet. – Ein Auftrag gegen falsch verstandenen Individualismus, Egoismus und Eigenbrötlertum sozusagen.

 

Weiters fällt mir auf, dass der Wanderstab das einzige im Markustext ist, das die Jünger mitnehmen sollen. Der Wanderstab ist Zeichen für das Unterwegssein, dafür, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesu sich nirgendwo einnisten sollen, sondern es sie weiterdrängt, um den Menschen die frohe Botschaft vom Anbruch des Gottesreiches zu bringen. Nichts außer dieses Ziel ist nötig. Alle Absicherungen lehnt Jesus ab: Nichts soll mitgenommen werden: kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd, an den Füßen nur Sandalen.

Das Brot ist die Grundnahrung, die Energiequelle. Kein Brot zu haben bedeutet hungrig zu sein. Für mich heißt das einerseits, dass die Jünger und Jüngerinnen es aushalten sollen, auf andere angewiesen zu sein. Sie müssen sich etwas schenken lassen, müssen etwas annehmen können. Andererseits heißt es aber auch, dass sie hungrige Menschen sein sollen: Wenn ich faste, bin ich viel wacher, viel empfindsamer, viel offener. Hungrig sein heißt nicht nur einen leeren Magen zu haben, sondern auch dünnhäutig zu werden, Sehnsucht zu spüren, ein Stück innere Freiheit wiederzugewinnen.

Die Jünger und Jüngerinnen sollen auch auf die Vorratstasche verzichten. Das ist wohl die Forderung Jesu, die für mich am schwierigsten ist: Keinen Vorrat haben, nichts mittragen, mich nicht absichern, nicht langfristig planen können.

 

Einige Dinge fallen mir ein, die ich unbedingt mitnehmen möchte, wenn ich unterwegs bin:  Ich fühle mich ohne meinen Kalender „nur als halber Mensch“, fast so, wie ohne Handy. Mit dieser Forderung Jesu ist meiner Meinung nach sein Anspruch verbunden, mich nicht mit unendlich vielen Terminen und Verbindlichkeiten zuzuschütten, sondern frei zu sein für das, was er von mir möchte, hinzugehen, wohin er mich führt und dort, wo ich gerade bin, auch wirklich ganz zu sein.

 

Ohne „Geld im Gürtel“ unterwegs zu sein bedeutet ebenfalls zweierlei: Es heißt, dass Jesus seine Jünger und Jüngerinnen auffordert, auf Luxus zu verzichten und dass die Menschen, die im Dienst von Jesus stehen, nicht käuflich sein dürfen. „Geld im Gürtel“ macht bequem und träge.

Mich ermutigt auch, wie die Ausgesendeten damit umgehen sollen, wenn sie nicht aufgenommen werden: Jesus sagt: „Geht weiter und schüttelt den Staub von euren Füßen zum Zeichen gegen sie.“ Ich finde das eine sehr gesunde Art, mit Ablehnung umzugehen. Es bedeutet, die Ablehnung klar zu sehen, nicht lange darüber zu grübeln, Konsequenzen zu ziehen, weiterzugehen.  Das ist für mich eine sehr gesunde Handlungsweise, eine Art Psychohygiene.

Worin besteht nun der Auftrag Jesu Christi? Er heißt seine Jünger die unreinen Geister auszutreiben, sie riefen die Menschen zur Umkehr auf, salbten viele Kranke mit Öl und heilten sie. In heutiger Sprache könnte das so klingen: Es geht darum, das Beziehungsgeflecht zu Gott und zu den Mitmenschen wieder in Ordnung zu bringen. Jesu Jünger halfen den Menschen, das innere Gleichgewicht und die eigene Mitte wieder zu finden, gaben Orientierungshilfen für das Wesentliche im Leben, wandten sich Kranken zu und verhalfen ihnen zu neuer Wellness.

 

Warum ich das „übersetze“? Ich möchte damit deutlich machen, dass die Anliegen, die hinter diesem Auftrag stehen, hochmodern sind. Auch heute sehnen sich die Menschen danach, allerdings häufig auf einer rein säkularisierten Ebene.

So hat Donald Ardell, der Vordenker der Wellness-Bewegung, 1977 fünf interagierende Dimensionen der Wellness festgestellt:

-         Selbstverantwortlichkeit

-         bewusste Ernährung

-         körperliche Fitness

-         Stress- Bewältigung

-         Umweltsensibilität

Alle fünf Faktoren finden sich interessanter Weise in diesem Schrifttext. Eines fehlt der Wellness-Bewegung: der ausdrückliche Blick auf Gott.

Es lohnt sich, die Lebenswelten der Menschen heute mit den Anliegen Jesu Christi zu verbinden. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um fruchtbare Ergänzung. Dieser Text hat seine Aktualität nicht verloren. Es braucht nur Menschen, die ihn umsetzen.