Erfüllte Zeit

27. 07. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Die wunderbare Speisung einer Volksmenge am See von Tiberias

(Johannes 6, 1 – 15)

von Veronica Schwed

 

Wenn ich mir das Szenario dieses Brotwunders vorstelle, bin ich beeindruckt:

Tausende Menschen auf einer grünen Wiese umringen Jesus. Er spürt ihre Sehnsucht, gibt ihnen nach, sättigt sie alle. Es ist, als würde er diese Menschen schon an dem teilhaben lassen, was er als „Leben in Fülle“ verheißt. Dieses Geschenkwunder verweist darauf, wer Jesus ist, es scheint das Geheimnis um ihn zu enthüllen. Es wird hier das Mysterium spürbar, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist.

 

Das wollte der Evangelist Johannes seinen Lesern und Leserinnen nahe bringen.

Doch trotz dieses beeindruckenden Wunders kommt Jesu Sendung, seine Absicht nicht an. Ein verschwenderisches Wunder wird vergeblich gewirkt. Dem wundersüchtigen Volk geht es allein um das Brot, um die Nahrung: Einen Brotkönig will es haben, der alle Probleme löst. Doch diesem Anspruch entzieht sich Jesus: Das will er nicht sein.

 

Deshalb werde ich heute auch weder über den Hunger in der Welt, noch über die gerechte Verteilung der Lebensmitteln unter den Menschen sprechen: Nicht, weil das unwichtig wäre, sondern weil es in diesem Text nicht darum geht.

Ich greife einige Sätze dieser Erzählung heraus und zwar in einer Übersetzung von Walter Jens, dessen griffige, poetische Sprache mich beeindruckt:

So heißt es in Vers 5b und in Vers 9: Jesus aber nahm Philippus beiseite: „Wo können wir Brot kaufen, sag mir, damit sie satt werden – nicht der oder jener, sondern alle zusammen? Da sagte Andreas, der ein Bruder des Simon Petrus war: „Ein Kind ist hier, das hat fünf Gerstenbrote, dazu zwei Fische – zu wenig für diese gewaltige Menge.“

 

Dieser  - eigentlich absurde – Dialog ist typisch für den Evangelisten Johannes: Fünftausend Menschen sind auf der Wiese. Warum wird da die Jause des Kindes überhaupt erwähnt? Die Gerstenbrote, Speise der Armen, erinnern an ein Wunder, das im zweiten Buch der Könige erzählt wird: Der Prophet Elischa sättigte hundert Männer mit zwei Gerstenbroten. Der Evangelist bezeugt dadurch das große Vertrauen in Jesus Christus: Dieser übertrifft den Propheten, er ist mehr, nämlich Gottes Sohn. Er sättigt fünftausend mit fünf Broten und es bleibt noch viel über:

 

So heißt es in Vers 12: Später, als die Menschen satt geworden waren, sagte er zu seinen Schülern: „Kommt, sammelt die Brocken ein, die übrig blieben vom Mahl. Kein Bissen soll umkommen, nichts darf verderben.

Dieses Einsammeln der Nahrungsreste entspricht der jüdischen Tischsitte. Der Wunsch Jesu, dass nichts verderben möge, weist aber schon darauf hin, dass er den Menschen eine „bleibende Speise“ schenkt. 12 Körbe werden mit den Resten gefüllt. 12 Körbe verdeutlichen, wie mächtig diese Wundertat ist. Für jeden der 12 Stämme Israels ist etwas da aus dieser Fülle, für jeden der 12 Apostel reicht es üppig. Johannes verbindet deutlich das Alte und das Neue Testament: Das, was im Alten Bund verheißen wurde, findet in Jesus Christus Erfüllung. Ein Fest der Fülle wird gefeiert, ein Fest des Überflusses.

 

Doch dann wendet sich das Verhalten von Jesus. Er, der zuerst ganz für das Volk da war, der es umsorgt hat, scheut nun die Reaktion des Volkes: Es heißt in Vers 15: Da fürchtete sich Jesus, dass sie ihn umringen und bedrängen würden –„Du! Sei unser König!“ – und er ging heimlich fort, hoch hinauf auf den Berg, und war allein. Politischer König wollte Jesus nicht werden. Es wäre der bequemere Weg gewesen, doch auf Jesus wartet eine andere Krone. Er hat – nach dem Evangelisten Johannes – um sein kommendes Leid gewusst und es dennoch angenommen.

 

Durch das Johannes- Evangelium zieht sich wie ein roter Fade der Gedanke, dass Jesu Stunde kommen wird. Manchmal wird dieser Gedanke direkt ausgesprochen, wie z. B. bei der Hochzeit von Kana, manchmal finden wir ihn implizit, wie hier. Jesus macht durch seinen Rückzug deutlich: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Sie kommt erst am Kreuz. Dort kann seine Liebe nicht mehr missverstanden werden,  wie nach dem Brotwunder. Dort zieht Jesus alle Menschen an sich.

Auch ich stehe immer wieder in der Gefahr, nach einem „Brotkönig“ Ausschau zu halten: Leid, Hunger, Not. - Gott soll diese Probleme lösen. Ein „Deus ex macina“ muss her, einer, der alle sättigt und glücklich macht. Das ist ein Missverständnis, eine Verkürzung in zwei Richtungen. In meiner eigenen Haltung, in der eine ziemliche Bequemlichkeit spürbar ist: Das, worum ich  mich nicht selber kümmern will, das was mir zu mühsam erscheint, soll Gott lösen; und in meinem Gottesbild: Gott wird so zum Lückenbüßer für meine eigene Faulheit und Untätigkeit.

 

Ich spüre immer wieder eine schwer auszuhaltende Spannung: Einerseits möchte ich Jesus Christus etwas zutrauen, möchte ihn um etwas bitten dürfen, andererseits will ich ihn doch nicht verzwecken. Ihm nichts mehr zuzutrauen wäre genauso falsch, wie der Ruf nach dem Brotkönig. Es geht darum, zu bitten und doch nicht zu verlangen, zu hoffen und doch nicht zu fordern, dankbar anzunehmen, was geschenkt wird und vertrauend auszuhalten, was versagt bleibt.

Das erlebe ich Sonntag für Sonntag neu in der Feier der Eucharistie.