Erfüllte Zeit

03. 08. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Der achte Monat von Hildegard von Bingen

 

Der achte Monat kommt in voller Kraft herauf, einem mächtigen Fürsten gleich, der sein ganzes Reich in der Fülle der Macht beherrscht. Daher strahlt die Freude aus ihm. Er, der dahinbrennt in der sengenden Sonne, zieht schon, einer gewissen Feuchtigkeit wegen, den Tau nach sich. Auch kann er schreckliche Gewitter bringen, weil die Sonne sich wieder ihrem Niedergang zuwendet. Die Eigenschaften dieses Monats zeigen sich in den Händen des Menschen, die jedes Werk verrichten und die Macht des ganzen Leibes in sich vereinigen und speichern. Ob seiner Hände Werk erwirbt der Mensch sich oftmals Ruhm. Gleichermaßen erkennt der Mensch durch das Geschmacksvermögen des Mundes, mehr als durch die übrigen Sinne und auf eine vollständige Weise, die den Lebensmitteln einwohnenden Kräfte. Als ein Wissender vermag er sie bei sich behalten, so wie auch dieser Monat mit all seinem Vermögen voller Kraft ist. Auch hat der Mensch von innen heraus seine Heiterkeit, indem er klug abzuschätzen weiß, was aus den kalten und warmen Naturen seiner Gesundheit zuträglich ist, wie auch jener Monat sowohl die Sonnenglut als auch den kühlen Tau in sich trägt. Mit solchem Wissen begabt, kann der Mensch Gefährliches und Nutzloses ausschalten, das Gute und Brauchbare aber behalten, wie auch die Hände ihre löblichen Verrichtungen kraftvoll und rechtschaffen vollenden, einem Künstler gleich, der aus seiner künstlerischen Begabung heraus alle Teile seines Hauses so aufrichtet, dass er in ihnen sein ganzes Wesen weise zum Ausdruck bringt ...

 

Aus: Liber Divinorum Operum