Erfüllte Zeit

10. 08. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

"Ich bin das lebendige Brot"

(Joh 6, 41- 51)

von Michaela Moser

 

 

„Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt“.

 

Die Andeutung Jesu an das österliche Geschehen, die in diesen sehr schwerwiegend klingenden letzten Satz des heutigen Evangeliums verpackt ist, kann zugleich auch als Appell an seine Hörerinnen und Leser verstanden werden. Zur Zeit der Verfassung des Evangeliums, etwa 85 Jahre nach dem Tode Jesu, waren dies vor allem die Mitglieder der frühen christlichen Gemeinden. Sie waren zum allergrößten Teil Frauen und Männer jüdischer Herkunft, die aufgrund ihres „neuen“ Glaubens auch sozial und ökonomisch ausgegrenzt wurden und sich – aufgerieben zuwischen den Fronten des jüdisch-römischen Krieges – in großer Bedrängnis befanden.

 

Füreinander ein zu stehen, einander vertrauen zu können, einander zu geben, was zum Leben nötig ist und einen starken Glauben an die Gegenwart Gottes zu haben, war für diese Gemeinschaften eine Frage des Überlebens.

Das Johannesevangelium handelt von der Angst und der Verzweiflung dieser Zeit, es berichtet aber auch vom Verwandeln der Angst durch Frauen, Männern und Kindern, die sich miteinander auf den Weg gemacht haben, um dem Reich Gottes zum Durchbruch zu verhelfen.

 

Ein Weg der oft mühsam war und der wohl bei vielen die Erinnerung an ihre Vorfahren und deren mühsamen und langen Weg durch die Wüste geweckt hat.

 

Nur allzu verständlich, dass die Menschen da hungrig waren nach Zeichen und sich manchmal in ihrer Situation der Bedrängnis nur gewünscht hätten, dass Gott es Manna vom Himmel regnen ließe, und sie für eine Weile nichts tun müssten als nur mit offenen Händen dazu stehen.

 

Wer in großer Bedrängnis ist, dem oder der soll geholfen werden, soweit und soviel und so lange bis er oder sie Kraft hat, wieder alleine weiter zu gehen, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen.

 

Diese Aussage würden wohl viele von uns unterschreiben und auf diesem „Konzept“ beruhen auch Arbeit und Engagement einer ganzen Reihe von sozialen und entwicklungspolitischen Organisationen, deren Arbeit wir unterstützen und in denen wir uns engagieren können.

 

Dieses Konzept des „Empowerment“ - wie es heute genannt wird -  ist ein Konzept der Stärkung und Ermächtigung jener, die in Bedrängnis, in Sorge und Not sind, es ist ein Konzept, das darauf achtet, Ausgegrenzte nicht als hilflose Opfer zu sehen, auch dann, wenn sie in Momenten der Schwäche vielleicht nur sehr eingeschränkt selbst Verantwortung für das eigenen Leben übernehmen können.

 

Die Reden Jesus im 6. Kapitel des Johannesevangeliums, können, wie ich meine, als eine Art von „Empowerment“-Reden für die Menschen der damaligen Zeit gelesen werden.

Und die Berichte des Evangeliums, die uns über das Zusammenleben der christlichen Gemeinschaften dieser Zeit informieren, geben auf ihre Weise auch Auskunft darüber, wie diese Gemeinschaften dieses Konzept des „Empowerment“ gelebt haben, sie gemeinsam und in ihrem Glauben an einen Gott, der ein Leben in Fülle für alle versprochen hat, ihre Angst in Stärke verwandeln konnten und so die Kraft für Veränderungen hatten.

 

Leben in einer Zeit der Veränderungen und im Kontrast zur dominierenden Meinung einer Gesellschaft, die vorgibt, was als unumstoßbar und unveränderlich gilt, braucht auch heute dieses Füreinander einstehen, damit der Atem lange genug reicht. In meiner Tätigkeit im österreichischen und im europäischen Netzwerk gegen Armut und soziale Ausgrenzung, geht es mir und meinen Mitstreiterinnen in ganz Europa darum, dafür zu sorgen, dass die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen sich so verändern, dass niemand in materieller Armut und/oder in sozialer Ausgrenzung leben muss.

 

Manchmal wünsche ich mir da auch, dass es einfach Manna – und alle anderen notwendigen Dinge - vom Himmel regnen würde, dass Veränderungen einfach von selbst passieren und wir uns nicht länger mit Studien, Streitgesprächen, Konferenzen und Presseaussendungen dafür einsetzen müssten, dass der gesellschaftliche Reichtum so verteilt wird, dass der Hunger – jener nach Brot, aber auch der Hunger nach Bildung, nach Kultur, nach politischer Partizipation usw. – gestillt wird.

 

Wenn ich mich dann in die Situation der Zuhörerinnen Jesu versetze, die auf dieses Himmelsbrot warten, verstehe ich ihr Murren darüber, dass die Antwort Jesu einzig jene ist, sich selbst als Brot des Himmels zu bezeichnen und damit anzudeuten, dass es gemäß dem Auftrag der Nachfolge an uns liegt, wie er selbst zum Brot des Himmels zu werden.

 

Den starken Glauben zu haben, der in diesen Passagen von Jesus immer wieder eingefordert wird, heißt für mich, dass wir darauf vertrauen können, dass „genug für alle da ist“.  Christliche Nachfolge jedoch bedeutet mehr als  einfach zum Himmel zu starren und auf das Manna zu warten, das es herunterregen wird. Wir selbst sollen – wie Jesus – zum lebendigen Brot werden und dafür sorgen, dass alle auf dieser Welt genug zum Leben haben.