Erfüllte Zeit

17. 08. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Michaela Moser

Jesus gibt sich ganz. Er gibt sein Fleisch und sein Blut. Diese sehr körperliche Dimension seiner Hingabe bleibt uns oft unverständlich, auch wenn wir Sonntag für Sonntag in den Gebeten der Eucharistiefeier daran erinnert werden.

Im Johannesevangelium aus dem der heutige biblische Text stammt, wird der Körper Jesu immer wieder als Ort der Beziehungen zu den Glaubenden deutlich. So hören wir gleich an mehreren Stellen, dass aus Jesu Körper Lebenswasser fließt, das die Glaubenden trinken, ein Wasser,  das sie schließlich selbst zur Quelle werden lässt. Und schließlich hören wir in der heutigen abschließenden Passage des 6. Kapitels, das Jesu Fleisch als Brot des Lebens gegessen und sein Blut getrunken wird.  

Das Bild, das in seiner direkten Körperlichkeit irritiert, soll, so sind sich führende Exegetinnen und Exegeten einig, die vollkommene Gemeinschaft zwischen Jesus und den Glaubenden symbolisieren. Jesu Körper ist die Tür, die zum Leben führt.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser starken Körperbilder wurden die Texte des Johannes-Evangeliums oft auf eine Weise interpretiert, die das politische und praktische Leben der Menschen in den Hintergrund treten lässt und der „Rückzug der johanneischen Gemeinden“ aus der Wirklichkeit unterstrichen.

Bei genauerem Hinsehen und bei genauerem Lesen der Texte aber finden sich immer wieder zwei Wirklichkeiten, die in diesem Evangelium nebeneinander stehen. Zum einen die ganz reale praktische Welt, in der die Menschen hungern und dürsten, essen und trinken, Angst haben und geheilt werden. Zum anderen ist da immer der Verweis auf ein anderes Reich, jenes Reich, „das nicht von dieser Welt ist“.  Heute müssen wir uns fragen, warum der Glaube an dieses andere Reich für die Menschen der damaligen Zeit so bedeutsam war. Wollten sie sich damit nur vor politischen Auseinandersetzungen und vor der Beschuldigung, sich gegen den Kaiser aufzulehnen schützen? Oder waren sie in eine rein geistige religiöse Welt versponnen, die ihnen alles andere als unwichtig erschienen ließ.

 

Ich glaube es nicht, schon deshalb, weil es im Kontrast zu vielen der anderen Berichte und Reden im Johannesevangelium stehen würde.

Freilich, die frühen Christen der Jahre 80 bis 90 nach Christus, zu deren Zeit das Johannesevangelium entstanden ist, waren in großer Bedrängnis. Sie waren aufgrund ihres neuen Glaubens ausgegrenzt aus den für die meisten von ihnen vertrauten und Sicherheit gebenden Zusammenhängen der jüdischen Gemeinschaft und sie hatten allen Grund Furcht vor den römischen Herrschern zu haben.

Sie waren also in einer doppelten Bedrohungssituation: im eigenen Volk ausgegrenzt und mit dem Volk von Rom unterdrückt.

Die christlichen Botschaften, wie sie den johanneischen Gemeinden im Evangelium überliefert werden, sollten sie dabei unterstützen, im Glauben zu bleiben, sich nicht einschüchtern zu lassen, die Angst nicht überhand gewinnen zu lassen. Wie die deutsche Theologin Ruth Habermann glaube ich, dass das Johannesevangelium eine ganz Reihe an Ermutigungen zum Widerstand enthält. Erfahrungen von Enge und Angst, Ausgrenzung und Bedrohung werden ernst genommen, aber es wird auch gezeigt, wie sich in all der Enge ein Raum öffnen lässt, der Luft gibt zum Atmen, wie sich Handlungsspielräume, auch in Zeit der Bedrängnis, erhalten und erweitern lassen.

Dass es um ein Reich geht, „das nicht von dieser Welt ist“, kann als Ausdruck einer großen Vision verstanden werden, einer Vision die besagt, dass nichts so bleiben muss, wie es ist, dass alles auf den Kopf gestellt werden und ganz anders sein kann. Es ist die Auflehnung gegen das dominante und herrschendes System mit all seinen scheinbar unveränderlichen Normen und  Gesetzen gegen das mit einer starken Vision eine Alternative gesetzt wird.

 

Die Umsetzung einer solchen Vision, die Verwandlung dessen was lebenszerstörend für viele ist, die Verwandlung einer reichen Gesellschaft, in der Menschen in Bedrohung leben, unterdrückt werden, nicht genug zu essen, keinen Platz zum Schlafen haben, unzureichende gesundheitliche Versorgung bekommen usw. – in eine Gesellschaft, in der der gemeinsame Reichtum als Leben in Fülle für alle spürbar wird, kann einer oder eine allein nicht bewerkstelligen.

Von Anfang an, war es die Gemeinschaft jener, die an diese Veränderungen glauben, auf die auch Jesus in seiner Nachfolge gesetzt hat und die er durch sein Vorbild ermutigt hat, sich einzusetzen „mit Fleisch und Blut“, das muss nicht notwendig den Einsatz des eigenen Leben bedeuten, auch wenn es im Falle Jesu die Konsequenz für sein verwandelndes Handeln war, aber es bedeutet als ganzer Mensch dabei zu sein. Das Johannes-Evangelium erzählt von solchen Menschen, die gestärkt durch ihre im Glauben wurzelnde Verbundenheit mit Jesus, seine Botschaft zum Leben bringen und so immer wieder dafür sorgen, dass das Evangelium nicht aus leeren Worten besteht, sondern zu „Fleisch und Blut“ und damit im umfassenden Sinne zur Nahrung aller wird.