Erfüllte Zeit

14. 09. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

„Der Menschensohn muss erhöht werden“  (Johannes 3, 13 – 17)

Kaplan Hubert Ratz

 

Sie haben sicher schon um Worte gerungen, um ihren fragenden Kindern oder suchenden Menschen Glaubensinhalte verständlich zu machen.

Das sogenannte Nikodemusgespräch im dritten Kapitel des Johannesevangeliums, aus dem diese Verse genommen sind, hat diesen Hintergrund.  Wir dürfen diese Stelle als ein Ringen Jesu verstehen, dem Pharisäer Nikodemus den Weg der Erlösung zu erklären. Jesus nimmt dabei Bezug auf die Wüstenwanderung des Volkes Israel. Auf dem langen Weg durch die Wüste wurde das Volk wieder einmal mutlos und murrte gegen Gott und gegen Mose. Es folgte eine Giftschlangenplage und viele Menschen starben. Die Israeliten deuteten das als Strafe Gottes und baten Mose, stellvertretend für das Volk um die Befreiung von den Schlangen zu beten. Mose betete zum Herrn und erhielt folgende Antwort: „Mache dir eine Schlange und hänge sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird und zur Schlange aufschaut, wird am Leben bleiben.“ (Num. 21, 8). Mose machte eine Schlange aus Kupfer und hängte sie auf, damit jeder, der durch eine Giftschlange gebissen wurde, aufschauen und am Leben bleiben konnte.

 

Jesus vergleicht das Aufhängen der Schlange mit seinem Tod am Kreuz. So notwendig das Aufstellen der Schlange für das Überleben der Israeliten war, so notwendig ist die Erhöhung Jesu am Kreuz für das Überleben - das ewige Leben aller Menschen.

 

Dieser Vergleich gibt uns wertvolle Hinweise. Die Israeliten wollten die Befreiung von den Giftschlangen - Gott gab ihnen die erhöhte Schlange. Der heutige Mensch sehnt sich nach der schönen neuen Welt ohne Krankheit und Ungerechtigkeit - Gott gibt uns das Kreuz Christi. Beide Zeichen entsprechen nicht den Vorstellungen der Menschen, weil sie Not und Tod nicht aus der Welt schaffen. Sie werden als Heilszeichen wirksam, wenn die Menschen jene Bedeutung annehmen, die Gott diesen Zeichen  gegeben hat.

 

Im heutigen Evangelium liefert uns Jesus die Deutung seines Kreuzestodes aus der Sicht Gottes.

„Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh. 3, 16)

Gott liebt diese Welt! Gott liebt alles, was er geschaffen hat, Gott liebt jeden einzelnen Menschen. Gott liebt mich ganz persönlich. Es gibt nichts, was Gott an seiner Liebe hindern könnte. Durch maßloses Schenken, durch die Lebenshingabe Jesu am Kreuz zeigt Gott - so paradox es klingt - seine Liebe zur Schöpfung, zum Menschen, ganz persönlich zu mir. Liebe ist immer engagiert und frei. Gott verordnet die Erlösung des Menschen und die Rettung der Welt nicht, er schenkt uns im Kreuz Christi jenes Zeichen, durch das sich jeder ganz persönlich für die Liebe Gottes entscheiden kann.

 

Das heutige Fest Kreuzerhöhung erinnert uns in besonderer Weise daran, dass das Kreuz ein sichtbares Zeichen ist. Damit ich im Kreuz die Liebe Gottes erkennen kann, muss ich immer wieder auf das Kreuz schauen. Warum? Schon in den ersten Worten, die uns von Jesus überliefert sind, ruft er die Menschen zur Umkehr und dann zum Glauben an das Evangelium auf. Umkehren hat zuerst etwas mit einer Blickänderung zu tun: wegzukommen von der ausschließlichen Konzentration auf mich selber hin zu einer Beziehung mit einem Gott, der mein Leben trägt.

 

Der Blick auf das Kreuz Christi geschieht aus meinem Leben heraus und kann deshalb nie eine Lebensflucht sein. Das Kreuz vermittelt mir einen Gott, der im Leiden mitleidend gegenwärtig ist. Und so kann ich auch nur mit meinem ganzen Leben darauf eine Antwort geben, nicht mit einer vorzeigbaren Leistung, sondern mit der Bereitschaft, Jesus Christus als Sohn Gottes anzunehmen, und in seinem Leiden und Sterben am Kreuz die Liebe Gottes zu erkennen, die der Welt die Rettung und dem Menschen das ewige Leben schenken will. Das Entscheidende hat Gott schon getan in der Hingabe seines Sohnes. Der Schritt den ich tun darf, ist an seinen Sohn glauben. Dieser Glaube beinhaltet ein Zweifaches. Zum einem das Bekenntnis: Ich brauche einen Erlöser und sich das einzugestehen, fällt wohl keinem Menschen leicht. Zum anderen: Ich darf in aller Freude und Dankbarkeit annehmen, dass es in Jesus Christus einen Erlöser gibt, der seine Liebe auch in meinem Leben und durch mich in der Welt entfalten will. Mit ihm wird mein Leben zu einem erfüllten Leben, das sich in der zukünftigen Welt fortsetzt und vollendet.

„Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat.“ (Joh. 3, 16)