Erfüllte Zeit28. 09. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr
Markus
9, 38 – 48 von
Veronika Prüller-Jagenteufel Hölle,
nie endendes Feuer, ausgerissene Augen, Hände und Füße – der
heutige Evangelientext kommt sperrig daher, fast grausig. Keine
lieblich-friedlichen Worte über Menschenfreundlichkeit, kein
harmloses "Seid-nett-zueinander", sondern ein eher
fanatisch anmutender Aufruf zu höchster Radikalität. – In einer
Hollywood-Inszenierung müsste der Jesusdarsteller bei diesem Satz
brennende Augen haben und in der Stimme einen drohenden Unterton.
Und als Zuseherin könnte ich mich dann mit einem leicht schaurigen
Gefühl zurücklehnen und über die potentielle Gewalttätigkeit von
Religion philosophieren und stolz darauf sein, dass in unserem
Kulturkreis derartige Radikalismen längst überwunden sind. Abgesehen
davon, dass dieser Stolz unberechtigt ist, weil die Geschichte zu
genüge beweist, dass auch die europäische Aufklärung nicht vor
Ausbrüchen fanatischer Barbarei zu schützen vermag, möchte ich
mir die Auseinandersetzung mit diesen sperrigen Sätzen im
Evangelium nicht so leicht machen. Ich habe mir zur Angewohnheit
gemacht, bei biblischen Texten zu fragen: Wo liegt hier die
befreiende Botschaft, das, was mich trifft und angeht, was mich
weiter bringt, meine Bereitschaft, mich auf Gott und die Menschen
einzulassen, fördert? Nicht immer gelingt es, einem bestimmten Satz
oder Abschnitt einen solchen Sinn anzugewinnen; manchmal liegt er
dann darin, mir klar zu machen, dass ich das heute anders sehe oder
sagen würde, dass wir da im Christentum dazugelernt haben. Dazu
gehört für mich z.B. die Überzeugung, dass körperliche
Selbstverstümmelung keine Gott wohlgefällige Bußübung ist –
auch wenn manche immer noch glauben, dass Schmerzen einen religiösen
Wert hätten, dass etwa ein Fasten nur dann "echt" sei,
wenn es sehr schwer fällt, oder eine Wallfahrt nur dann
"wirksam", wenn man sich dabei Füße oder Knie wund läuft.
Ich glaube, dass die Radikalität, von der mir die Sätze aus dem
heutigen Evangelium erzählen, etwas anders meint.
Ich
lese sie so: Wenn dein Auge, deine Hand, dein Fuß dich verführt,
bedrängt, quält – das alles kann das griechische Wort auch heißen,
– dann trenn dich davon, denn dein umfassendes Heil ist wichtiger.
Was ist es also, das mich heute quält, bedrängt, wegführt von
dem, was mir Heil und Leben in Gottes Gegenwart verheißt? So gefragt, fällt mir zu der Evangelienstelle plötzlich ganz viel ein, sowohl im Blick auf mein eigenes Leben als auch auf Trends und Gewohnheiten in unserer Gesellschaft insgesamt: etwa die Süchte, die unser Leben bedrängen – und da stehen ja neben den so genannten harten Drogen, auch der Alkohol, der Kaffee, das Nikotin, aber auch zuviel und zu perfektionistische Arbeit, überhaupt übermäßiger Konsum in vielerlei Form: Alles Suchtmittel, die uns wegführen von unseren Wahrnehmungen und unseren Gefühlen, die uns benebeln und unehrlich werden lassen, die unsere Beziehungen stören, uns von anderen wegführen und auch unseren Draht zu Gott ins Abseits drängen. Etwas davon kennt jede und jeder, auch wer noch nie auf Entzug war oder keine Drogenstation von innen kennt. Und viele wissen, wie schwierig, aber auch wie heilsam es ist, sich von dem, was einen da bedrängt, wirklich radikal zu distanzieren: nicht mehr zu rauchen etwa, oder auch nicht mehr perfekt sein zu wollen. Denn es ist besser für uns, mit weniger Gift im Körper, weniger Erfolg, weniger Konsumgütern in ein erfüllteres Leben zu gelangen, als mit all dem Getriebene zu sein, sei es von Sucht, sei es von Leistungsdruck oder fremden Normen. Im
Blick auf unsere Gesellschaft sehe ich dann noch anderes. Ich sehe
z.B. ein wachsendes Bedürfnis nach Sicherheit, nach
Besitzstandswahrung. Es verführt uns nicht nur zu einer oft fragwürdigen
Asylpolitik, sondern vermehrt auch dazu, den solidarischen sozialen
Ausgleich in der Gesellschaft in Frage zu stellen. Könnte das
heutige Evangelium auch die Aufforderung sein, unser Bedürfnis nach
Absicherung auszureißen, weil es besser für uns wäre, ein paar
Menschen ohne ausreichenden Asylgrund in unser Land aufzunehmen, als
solche abzuweisen, die ihren Heimatländern tatsächlich in Gefahr
sind? Oder weil es besser für uns wäre, mit ein paar so genannten
Sozialschmarotzern in einem solidarischen Land zu leben, als mit
lauter so genannten Tüchtigen in der Hölle des neoliberalen
Egoismus? Der
erste Teil des heutigen Sonntagsevangeliums scheint mir von einer
solchen Haltung der vertrauensvollen Offenheit zu sprechen. Jesus
ist hier so ganz und gar nicht eifersüchtig auf die, die sich auf
seinen Namen und seine Kraft berufen, aber nicht zum Jüngerkreis
gehören. Jesus wacht nicht eifersüchtig über seine Trademark, hat
kein Patent auf das von ihm gewirkte Heil angemeldet. Nicht der
Gewinn einer möglichst großen Jüngerschar ist sein
Erfolgskriterium: Er möchte, dass Gutes für die Menschen
geschieht. Jesus ist nicht wichtig, wie seine Aktien stehen. Ihm
"genügt", dass Menschen Heilsames erfahren, dass ihnen
geholfen wird, nicht dass er als Wunderrabbi die Massen anzieht. So
können nach seinen Worten auch die Lohn von Gott erwarten, die die
Jünger Jesu auch nur mit so etwas Einfachem wie einem Glas Wasser
unterstützen. Vielleicht ist das für uns angesichts der
unabweisbaren Herausforderung zur Radikalität ja auch ein Trost. |