Erfüllte Zeit

05. 10. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Markus 10, 2 – 16

von Msgr. Dr. Norbert Rodt

 

 

„Die Bibel ist ein Drehbuch. Du verstehst sie nur, wenn du mitspielst. Es ist egal, welche Rolle du übernimmst ... Entweder du spielst mit, oder du bleibst draußen.“1) Mit diesen Worten hat mich der von mir geschätzte, aus Deutschland stammende Wilhelm Bruners, Leiter der Bilbelpastoralen Arbeitsstelle am Österreich-Hospiz in Jerusalem, angesprochen und motiviert. Ich bemühe mich, die R e g i e-Anweisungen ins Wort zu heben, damit Sie das Drehbuch des heutigen Sonntagsevangeliums „in ihrem Leben spielen“ können!

 

  1. Das 10. Kapitel des Evangelisten Markus umfasst insgesamt 52 Verse. Bei Weglassen des ersten, der eine redaktionelle Notiz ist, und Ausblenden eines thematisch anderen Inhalts ab Vers 32, verbleiben sogenannte „Redestücke“ mit drei Themen:

-         Ehe und Ehescheidung (v. 2 – 12) sowie

-         Kind/christ und Reich Gottes ( v. 13 – 16); das kündet die Kirche heute! Und

-         Reichtum und Reich Gottes (v. 17 – 31); dieses Stück ist der Verkündigung des kommenden, des 28. Sonntags im Jahreskreis, vorbehalten.

 

  1. In der Evangeliums-Konzeption des Markus ist Jesus auf dem Weg zum Leidenspascha nach Jerusalem. Dieser letzten Etappe ordnet der Evangelist die genannten „Redestücke“ zu: als Lehrgespräch (v. 2-9), als Jüngerlehre (v. 9-12) und als weitere Belehrung in Form einer Episode (vv 13ff).

     Diese Episode lässt die sog. Kurzfassung weg; das Hauptgewicht liegt also

     wie auch bei mir, auf dem Lehrgespräch zum Thema Ehe und Ehescheidung

     sowie anschließender Jüngerlehre.

     Diese so verbleibende Perikope des 27. Sonntags im Jahreskreis ist wie ein

     „Katechismus für die Urkirche“. Für die nachösterliche Kirche aus Juden und

     Heiden werden entscheidende Fragen zur Sprache gebracht!

 

Die (noch) junge Gemeinde der Christen, also die hinter Markus stehende Glaubensgemeinde ist in Auseinandersetzung mit der Synagoge und fragt nach dem „Gebot Gottes“ und nicht nach „Mose Erlaubnis“.

Es handelt sich also hier um das Vermächtnis Jesu an seine Kirche, die sich in grundlegenden Fragen anders verhalten muss als die Synagoge.

 

Im Streitgespräch mit den engherzigen Vertretern der jüdischen Auffassung von Gesetz des Mose, den Pharisäern, wird vom Evangelisten die Frage auf die christliche Auseinandersetzung mit den Juden zugeschnitten: ist Ehescheidung überhaupt erlaubt?

Markus geht es (im Unterschied  zu Mt.) lediglich um die Frage, ob vom Ursinn der Ehe her Scheidung möglich ist. Das ist nämlich die Frage, die die jüdische von der jungen kirchlichen Ehepraxis unterscheiden soll.

In der Antwort Jesu (v. 5 – 8) erfolgt eine dreistufige, an den heiligen Schriften orientierte Beweisführung, dass Gottes Schöpferwille ²) auf eine volle, gleichbe-rechtigte Partnerschaft zwischen Mann und Frau zielt als totale leibseelische Einheit. So könnte das biblische Urwort verheutigt klingen.

Abschließend bleibt zu sagen: Durch Jesu Autorität abgedeckt schließt der Evangelist die in eine Auseinandersetzung eingekleidete Lehräußerung´: „Was nun Gott zu einem Paar verbunden hat, darf ein Mensch nicht scheiden“ (v 9). Die angeschlossene  Jüngerlehre („zu Hause“) stellt das absolute Ehescheidungsverbot als tatsächliche Forderung Jesu heraus³).

 

Nun beschreite ich mit Ihnen den weiten Raum heutiger pastoraler Fragen um Ehe (und Familie), gelungene und misslungene (eheliche) Beziehungen:

 

  1. Einmal pro Jahr hält die „Ich – und Spaß-Gesellschaft“ mit Hilfe der Boulevard-Presse-Schlagzeilen, inne: 50% aller Ehen enden in Scheidung.
  2. Die Gesellschaft und als Institution die staatliche Autorität registriert die Eheschließung am Standesamt und stellt gerichtlich, zum Teil vereinfacht, die Scheidung fest. Darf sich der Staat eines Wertekodex bedienen?; wenn ja, mit welchen Inhalten und Zielen, lauten die Anfragen.
  3. Die Kirchen scheinen ohnmächtig: ihre an Werten volle Stimmen lispeln nur in der großen Lautstärke der Spaß- und – Fun – Generation. Die röm. kath. Kirche indes mit ihrer sakramentalen Positionierung von Ehe ist hilflos, wenn sich statt des erhofften und erbetenen Ideals die allzu oftmalige Realitäten des Scheiterns und der Scheidung einstellen.
  4. Die Stimme der ernsthaften Seelsorger, die bedauern, dass die meisten Ehepaare „Fünf Minuten vor zwölf“ zur Hochzeitsvorbereitung vorsprechen, ist verausgabt und heiser.
  5. Weitere bedenkliche Phänomene aus Gesellschaft und bedrohliche Situationen aus Glaubensgemeinden könnte ich vermelden. Überdies müssen viele, einzelne Personen sehr betreffende Gelegenheiten von Hoffnung auf Lebensglück und Scheiterns nach Ehe-Unglück unerwähnt bleiben. Darum:

 

Ein Versuch, der heute in Bibelrunden durchaus üblich ist: stellen sie sich vor ich könnte in die Rolle des Evangelisten schlüpfen. Heute fragen ehrliche Menschen, nicht „Fallensteller“ wie damals, Jesus nach seiner Antwort

-         nicht auf die Frage: Welche Ehe ist gültig?, sondern

-         auf die Frage: Welche neuen, geläuterten Anfänge empfiehlst du mir und den Meinen, für die ich Verantwortung habe, nach dem Scheitern?

„Meine Regie – Anweisungen als Evangelist müsste lauten“:......Pardon! Meine heutige Redezeit ist für heute leider zu Ende! Spielen Sie das Evangelium in Ihrem Leben weiter!

ANMERKUNGEN

 

1)       Wilhelm Bruners, Eine Annäherung. Aus: ferment 1/2003 „suchen und finden“, S 16f, Pallottiner Verlag, Gossau/Schweiz

2)       Interessant: Papst Johannes Paul II, Römisches Triptychon, II Meditationen über das Buch „Genesis“..... Adam und Eva (2003).

3)       Vgl. dazu: A. Schulz, S 519ff