Erfüllte Zeit

26. 10. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

„Die Heilung eines Blinden bei Jericho“ (Markus 10, 46 – 52)

von Rainer Porstner

 

Wie lange er wohl geschrieen hat, der Bartimäus?

Seit ich denken kann, begleitet mich dieses Evangelium. Als kleiner, staunender Bub, voll Vertrauen: Der Jesus kann alles. Alles hat er gut gemacht, den Tauben das Gehör, den Blinden das Augenlicht gegeben. Dann ein wenig kritischer: wie genau? - aber immer noch: vertrauend. Als Kaplan, als Lehrer die Geschichte weiter geben. Da war der Hirnzugang: Baptisterien. O.k. Und für das Herz: Bildgeschichte für den Schülergottesdienst. Groß gezeichnet. Wie er dann dort sitzt, die Bettlerschale in der Hand, das Tuch über den blinden Augen. Gespielt: die Binde von den Augen – und da, plötzlich: die weit aufgerissenen, staunenden Augen. Sehen, was man nicht für möglich gehalten hätte. Wie er sich dann wohl in dieser neuen Welt zurecht gefunden hat?

 

Und da bin ich immer noch. Beim zurecht finden in dieser Welt.Ich habe viel gesehen, aber mehr vielleicht nicht. Immer noch blind? Schrei ich? Wie lange er wohl geschrieen hat, der Bartimäus. Warum hat er überhaupt geschrieen? Unzufrieden? Weil ihm andere eingeredet haben, wie das ist, wenn man sieht? Vielleicht auch. Aber da war diese Sehnsucht, die hat ihn immer verleitet, irgendwo muss doch Licht sein.... Und darum hat er geschrieen. Den Menschen hat das nicht so gefallen. Die Leute haben gemeckert, ihn angefahren. „Sei still!“ Wie oft er am Aufgeben war. Du bist blind – und aus.

 

Welche Kraft hat ihn getrieben? Er hat zugehört den alten Geschichten. Von dieser anderen Welt, die kommen wird, die einer bringen wird, der aus Bethlehem her stammen sollte. Ein Nachfahre des Königs David, den er sich in seiner Vorstellung so leuchtend, strahlend ausmalte. Und er hatte die neuesten Geschichten gehört. Dort soll einer auftreten, der es ist. Da, im Nachbarort, da ist er - Ach was - Aber heute, da war irgend was in der Luft. Also. Drauflos gerufen. Und da auf einmal kommen welche und sagen: Hab nur Mut. So was. Den Mantel, seine bergende Hülle, Bett, Decke und Wohnung in einem, lässt er sausen. Denn jetzt wird alles anders. Andere Wege tun sich für ihn auf.

 

Und da sitz ich nun, meditier die Geschichte mit ihnen und denk mir: Du blinder Hund. Zeit, dass du sehend wirst. Ich möchte wieder sehen können - Wieder. Wie als Kind? Endlich sehen?

 

Was will ich sehen? Eine Welt, in der die Machtspielereien ein Ende haben. In der Beherrschen und Geld nicht das entscheidende Sagen haben. In der die Strukturen der Gewalt, wie das modisch heißt, Strukturen des achtsamen Umganges weichen. Jesus, Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir, mit uns ...

 

Wie lange er wohl geschrieen hat, der Bartimäus, bis er Erfolg hatte. Vielleicht habe ich zu früh aufgehört mit dem Rufen. Für dieses Land, für diese Welt....

Vielleicht muss ich mir genauer ansehen, worum ich rufe. Und nicht zuletzt: Zu wem rufe ich da eigentlich?