Erfüllte Zeit

16. 11. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr

 

Markus 13, 24 – 32

von Prof. Wolfgang Langer

 

Es gibt Menschen, die in ständiger Angst vor der Zukunft leben. Von dem, was vor ihnen liegen mag, was auf sie „zu kommt“, erwarten sie kaum etwas Gutes. Wird die Firma noch weiter bestehen und der Arbeitsplatz erhalten bleiben? Wird die Pension noch reichen? Was ist, wenn der Sohn oder die Tochter geschieden werden? Jederzeit kann man schwer erkranken, und die Beschwerden des Alters kommen sowieso. Es müssen sich nicht gleich Sonne und Mond verfinstern und die Sterne vom Himmel fallen. Was man links und rechts in der Familie und bei Bekannten sieht, reicht schon.

Diese oft geheime, nicht eingestandene Angst vor der Zukunft, lässt viele die Augen davor verschließen. Nur nicht vorausschauen. Nur nicht daran denken, was alles passieren könnte. Entschlossen, manchmal geradezu verbissen wird die Gegenwart gelebt. Aber die Zukunft kommt – unaufhaltsam. Sie verwandelt sich jeden Tag in Gegenwart, die am nächsten Tag schon wieder vergangen ist. Und sie wird jeden Tag ein Stückchen kürzer.

Ich rechne nicht wirklich damit, dass der Weltuntergang in meine Lebenszeit fällt. Gleichviel: In der Stunde meines Sterbens geht für mich die Welt unter. Dann ist meine Zukunft aufgebraucht. „Den Tag und die Stunde“ kenne ich nicht. Und was dann? Alles aus? Oder wartet dann ein Engel auf mich, um mich mit den Anderen „zusammen zu führen“, die in Christus bei Gott leben?

Ich weiß es nicht. Der menschliche Verstand und unsere Vorstellungskraft reichen nicht so weit. Es ist jenseits unserer Welterfahrung. Und doch ist uns die Sehnsucht nach Leben eingepflanzt. Aber wer kann uns versichern, dass sie mehr als bloße Illusion ist, etwas anderes als der verzweifelte aber unrealistische Wunsch, nicht sterben zu müssen? Oder ist diese Sehnsucht vielleicht das innere Zeichen für ein anderes, wirkliches Leben – so wie wir jeden Frühling in den aufbrechenden Knospen der Blätter den nahenden Sommer spüren? Was oder wer macht aus der vagen Sehnsucht eine lebendige Hoffnung?

„Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Worte – mehr haben wir nicht. Worte sind wohlfeil. Sie können versprechen – und täuschen. Sie gelten heute – und morgen nicht mehr. Große, anspruchsvolle Worte sind uns nicht geheuer. Oft genug haben sie nicht das Gewicht an Wahrhaftigkeit, das sie vorgeben. Wir haben schmerzhaft lernen müssen, den heutigen Meistern der großen Worte, den Politikern, zu misstrauen. Und da sollen wir noch unsere ganze Lebenshoffnung auf Worte gründen? Auf ein so großes wie dieses: „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“

Ein Wort wiegt so viel wie die Person, von der es kommt. Es muss gedeckt sein durch eine makellose gute Absicht, durch Aufrichtigkeit und Redlichkeit, vor allem aber durch Erfahrung. Der, der es spricht, muss dafür einstehen mit allem, was er ist, mit seinem Leben und notfalls auch mit seinem Sterben.

Das alles sehe ich in Jesus von Nazaret, dem Christus. Darum baue ich die Hoffnung meines Lebens auf ihn, auf seine Worte. Es sind „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,68).