Erfüllte Zeit

07. 12. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

Predigt zum Fest der Geburt von Johannes d. Täufer

 

 

Wir greifen dieses Wort auf: „ein Zeuge des Lichtes“. Das Licht, dessen Zeuge er war, ist ein seinshaftes, ein alle Erkenntnis überschreitendes, ein alles übertreffendes Licht. Dieses Licht leuchtet in das Allerinnerste, in den tiefen Grund (der Seele) des Menschen. Aber wenn dieses Licht und dieses Zeugnis auf den Menschen trifft und ihn berührt, so wendet sich der Mensch, statt es zu pflegen, da wo es ist, von seinem Grunde ab, kehrt die Ordnung um und will fortlaufen auf Trier zu oder was weiß ich, wohin sonst, und nimmt das Zeugnis nicht an um seiner (Neigung zu) sinnenhaften äußeren Werken willen.

 

Nun sollen wir bedenken, dass die Natur schwach ist und nichts vermag; darum hat ihr der barmherzige Gott eine übernatürliche Hilfe gewährt, eine übernatürliche Kraft verliehen: das Licht der Gnade, ein erschaffenes Licht: es hebt die Natur hoch über sich hinaus und bringt alle Kost mit sich, deren die Natur nach ihrer Art bedarf. Darüber gibt es noch ein ungeschaffenes Licht: das Licht der Glorie, ein göttliches Licht, Gott selber. Denn wenn wir Gott erkennen sollen, so muss das geschehen durch Gott, mit und in Gott, Gott durch Gott, wie der Prophet sagt: „Herr, in deinem Licht sehen wir das Licht.“ Das ist ein überströmendes Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt. Dieses Licht leuchtet über alle Menschen, böse und gute, so wie die Sonne scheint auf alle Geschöpfe: sind sie blind, ihrer ist der Schaden. Wäre ein Mensch in einem finsteren Hause, so wäre er in dem Licht, könnte er nur soviel Helligkeit haben, um ein offenes Fenster oder ein Loch zu finden, durch das er seinen Kopf streckte. Ein solcher Mensch gibt Zeugnis von dem Licht.

 

 

Aus: Johannes Tauler: Predigten Band II,

Johannes-Verlag