Erfüllte Zeit

21. 12. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

Als Gott die Welt entwarf, plante er, in alles ein heiliges Licht zu gießen, um die Dinge Wirklichkeit werden zu lassen. Und Gott stellte Gefäße her, die das heilige Licht aufnehmen sollten. Aber es ging etwas schief. Das Licht war so hell, dass die Gefäße in Millionen Stücke zerbarsten wie ein Teller, der zu Boden fällt. Der hebräische Satz, den Luria für dieses „Zerbrechen der Gefäße“ benutzte, war: Schwirat ha-Kelim.

 

Unsere Welt ist ein wüstes Durcheinander, weil sie voller Bruchstücke ist. Wenn Menschen einander bekämpfen und verletzen, lassen sie es zu, dass die Welt zersplittert bleibt. Dasselbe kann man von den Menschen sagen, die ihre Scheunen voller Vorräte haben und andere hungern lassen. Luria zufolge leben wir in einem kosmischen Haufen von Bruchstücken, den Gott allein nicht reparieren kann.

 

Darum hat Gott uns geschaffen und uns die Freiheit der Wahl gegeben. Wir sind frei zu tun, was immer uns gefällt mit unserer Welt. Wir können zulassen, dass die Dinge zerbrochen bleiben oder, wozu Luria drängte, wir können versuchen, das Zerbrochene zu reparieren. Lurias hebräischer Ausdruck für „Reparatur der Welt“ ist Tikkun Olam.

 

Für Juden ist es die wichtigste Aufgabe im Leben, herauszufinden, was in unserer Welt zerbrochen ist und es zu reparieren. Die Gebote der Tora weisen uns nicht nur an, wie man als Jude leben soll, sondern auch, wie wir die Schöpfung reparieren können.

 

Wenn du etwas siehst, das zerbrochen ist, dann repariere es. Wenn du etwas siehst, was verloren ist, dann bringe es zurück. Wenn du etwas siehst, das getan werden muss, dann tu es. Auf diese Weise gibst du Acht auf deine Welt und reparierst die Schöpfung. Wenn alle Menschen in der Welt dies täten, wäre unsere Welt wahrlich ein Garten Eden, so wie Gott wollte, dass die Welt ist. Wenn alles Zerbrochene repariert werden könnte, dann würden alle Bruchstücke wie in einem riesigen Puzzle zusammen passen. Aber bevor die Menschen den großen Auftrag, die Schöpfung zu reparieren, in Angriff nehmen können, müssen sie zuerst die Verantwortung übernehmen für das, was sie tun.

 

(Aus: Lawrence Kushner „Das Buch der Wunder“)