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Erfüllte Zeit26. 12. 2003, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
"Aufforderung
zu furchtlosem Bekenntnis" (Matthäus 10, 17 - 22)
von
Univ. Prof. Ingeborg Gabriel
Ich habe das Evangelium dieses zweiten Weihnachtsfeiertags immer als eine Zumutung empfunden. Allzu abrupt, ja brutal scheint der Wechsel von der innigen, ja erhabenen Weihnachtsstimmung der vergangenen Tage. In der Heiligen Nacht sangen die Engel und verkündigten den Hirten und allen Menschen guten Willens den Frieden. Doch wo ist nun dieser verheißene Friede Gottes? Wie passen die Weihnachtsgeschichte und der eben gehörte Text über die Verfolgung der Jünger, über Spaltungen und Spannungen, die der Glaube selbst in die Familien hineinträgt, zusammen? Das heutige Evangelium konfrontiert uns nicht mit einer Welt nicht des Friedens, sondern abgründiger Bosheit. Denen, die Gutes tun, widerfährt offenbar keineswegs immer selbst Gutes.
Die Lesung aus der Apostelgeschichte handelt am heutigen Stephanitag von
der Steinigung des Stephanus, dem ersten Märtyrer der jungen
Kirche. Lukas berichtet dort, dass die vielen karitativen Aufgaben
der Gemeinde von Jerusalem die Apostel überforderten. Sie schlugen
daher vor, sieben Männer „für den Dienst an den Tischen“
auszuwählen, die von ihnen dann geweiht wurden. Der erstgenannte
ist Stephanus, einer der griechischen Heidenchristen. Stephanus
setzte sich „voll Gnade und Kraft“ sowohl für den neuen Glauben
als auch die Armen der Gemeinde ein. Dies brachte ihm jedoch
keineswegs nur Anerkennung ein, sondern auch Neid und Hass. Er wird
vor Gericht gestellt, von falschen Zeugen verleumdet und nach einer
grandiosen Verteidigungsrede vom Mob vor die Stadt gezerrt und
gelyncht. Ein junger Mann namens Saulus sah bei der Steinigung des
Stephanus zu und billigte sie.
Die junge Kirche hat die Diakonie bzw. Karitas, also den Dienst am Nächsten,
von Anfang an ebenso ernst genommen, wie die Liturgie, den
Gottesdienst. Eines kann aus christlicher Sicht vom anderen nicht
getrennt werden. Das christliche Zeugnis bis hin zum Martyrium zeigt
sich in Wort und Tat, in Verkündigung und im Dienst am anderen, sei
es innerhalb und außerhalb der eigenen Glaubensgemeinschaft.
Dies ist die unsausweichliche Konsequenz des Bekenntnisses zur
Menschwerdung Gottes, die wir zu Weihnachten feiern. Wenn Gott
selbst Mensch geworden ist, dann ist jeder Mensch, eben weil er
Mensch ist, kostbar. Dann zeigt sich in jedem Menschen, auch im
Einfachsten und Geringsten, etwas vom Geheimnis Gottes selbst. Die
Achtung gegenüber dem Mitmenschen und der Dienst an ihm, ist so
„Gott selbst getan“. Das Wort „Dienst“ hat heute keinen
guten Klang. Wer will schon andere bedienen? Vor allem für Frauen,
die allzu oft als „dienstbare Geister“ ge- und missbraucht
wurden, hat es einen bitteren Beigeschmack.
Doch gilt nicht auch, dass wir uns alle nach einem Zusammenleben sehnen,
in dem der „eine den anderen höher schätzt als sich selbst“
(Phil 2,3), ihn bedient, und nicht zuerst sich und seinen Vorteil
sucht? Sehnen wir uns nicht nach einer Welt, in der den Armen und
Hilflosen, die aus welchen Gründen immer in Not sind, effektiv
geholfen wird? In der nicht – wie in den Tagen vor Weihnachten in
der Zeitung zu lesen war - rumänische Eltern ihre Kinder verkaufen
müssen, und der Menschenhandel in Europa zunimmt? Wäre Weihnachten
nicht die Zeit zu überlegen, was jeder konkret dazu beitragen kann,
damit mehr Menschlichkeit und Friede in unsere Welt einkehren?
Die Geschichte des Stephanus zeigt freilich auch, dass das Engagement für
Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden nicht gefahrlos ist. Dies
gilt im Großen wie im Kleinen. Güte wird nicht immer belohnt und
der Einsatz für mehr Gerechtigkeit kann Aggressionen wecken, die
bis zum Mord gehen können. Auch dies galt damals wie heute. Es gibt
nicht nur die Menschen guten Willens, sondern auch jene finsteren
Willens. Die Menschwerdung Gottes geschieht in eine Welt hinein, in
der das „Geheimnis der Bosheit“ wirksam ist. Doch im Martyrium
des hl. Stephanus wurde auch jene Kraft und Gnade sichtbar, die zur
Bekehrung des Paulus, des späteren Völkerapostels, führte. Dies
ist nochmals ein Grund zur Hoffnung.
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