Erfüllte Zeit

06. 01. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Simeon der neue Theologe (970 – 1040) aus den Liebesgesängen an Gott

 

Welches ist, o mein Erlöser, dieses dein ungemessenes Erbarmen? Wie wolltest du mich Unreinen, mich Verlorenen, mich Verbuhlten zu deinem Gliede werden lassen? Wie hast du mich mit dem hellsten Gewande bekleidet, das vom Glanze der Unsterblichkeit blinkt und alle meine Glieder hell macht? Denn dein ganzer, unbefleckter, göttlicher, unvermischter, und in aussprechlicher Weise vermischter Körper blitzt im Feuer deiner Göttlichkeit, und dieses hast du mir geschenkt, mein Gott. Denn dieser meiner schmutzigen, vergänglichen Hütte vereint sich dein unbeflecktester Körper, und mein Blut mischt sich deinem Blute, ich weiß, vereint bin ich auch deiner Gottheit und bin dein allerreinster Leib geworden, ein leuchtendes Glied, ein Glied, wahrhaft heilig, weithin schimmernd. Ich schaue die Schönheit, ich schaue den Glanz, ich betrachte das Licht deiner Gnade, und starre in den unerklärten Blitz, und gerate außer mir, da ich merke, welcher ich gewesen, welcher, o wunder, geworden bin: und ich verehre und ich scheue mich selber, und wie dich ehre und fürchte ich mich, und bin verwirrt, und verzage, wohin ich mich setzen, wem ich nähern, wo deine Glieder lehnen, zu welchen Werken, zu welchen Tagen ich so verehrungswürdige und göttliche Glieder brauchen soll.

 

aus: Martin Buber (Hrsg.) „Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker“