Erfüllte Zeit

18. 04. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

John O’Donohue – 
Das Buch von der Schönheit

 

Von alters her vollzog sich eine Reise im Rhythmus dreier Größen: Zeit, Ich und Raum. Jetzt hat das digitale Virus Zeit und Raum schrumpfen lassen. Wir existieren nur noch auf den einzelnen Moment bezogen, haben verlernt, uns in Geduld zu üben und auf das Entzücken im Eros des Entdeckens zu achten.

 

Unruhig wartet das Ich, was der nächste Moment bringen mag. Der Mechanismus der elektronischen Bilder kehrt echte Begegnung um. Doch eine lange Reise benötigt sehr viel Zeit. Man sollte sich nicht abhetzen, sonst wird das Leben zu einer Art abstrakter Package-Tour bar aller Schönheit und jeden Sinns. Man weiß vor lauter Hektik nie, wo man sich gerade befindet. Man hat keine Zeit, sich der gegenwärtigen Erfahrung zu widmen. Wenn man in solchem Tempo Erfahrungen anhäuft, wird alles seicht und substanzlos. Deshalb entfernt man sich immer mehr vom Leben, und dies vertieft die quälende Leere des Herzens.

 

Wenn man das Gefühl zurückgewinnt, das eigene Leben sei eine Entdeckungsreise, befindet man sich wieder mit sich selbst im Einklang. Nimmt man sich die Zeit, voller Ehrfurcht zu reisen, dann entfaltet sich vor einem ein reicheres Leben. Dann schmücken Momente der Schönheit den Alltag. Wenn das Bewusstsein mit dem Gefühl der Ehrfurcht vertraut wird, erreichen uns häufiger das Licht, die Anmut und Eleganz der Schönheit. Wo das Ziel schön ist, verwandelt sich die ganze Reise in ein Abenteuer der Schönheit.

 

Die Schönheit ist nichts Alltägliches, sondern eine seltene Freude. Ein irisches Sprichwort besagt: „An rud is annamh is iontach, das Wundervolle ist rar.“

 

Plötzlich, ohne dass man damit gerechnet hätte, ist die Schönheit da.