Erfüllte Zeit

25. 04. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Meinungskommentar von Dr. Fritz Csoklich

 

Grauenhafte Ereignisse überschatten unsere Gegenwart: Bomben zerfetzen Arbeiterzüge in Spanien, arabische Terroristen sprengen sich und ihre ahnungslosen israelischen Opfer in vollbesetzten Autobussen in Israel in die Luft, palästinensische Wortführer werden von israelischen Raketen mit technischer Raffinesse ganz gezielt umgebracht, Völkerrecht hin oder her. Und doch muss ich gestehen, dass ich diesem Schrecken zum Trotz jetzt so optimistisch und zuversichtlich bin wie schon lange nicht: Denn selbst die furchtbarsten Instrumente des Schreckens, wie sie der Terrorismus anwendet, haben die Sehnsucht unzähliger Menschen nach Freiheit und Selbstbestimmung ebenso wenig auslöschen können, wie die unmenschlichen Diktaturen des Kommunismus und Nazismus in den Jahrzehnten vorher.

 

So wächst schon seit einigen Jahren allen mieselsüchtigen Prognosen zum Trotz ein neues Europa zusammen, das in wenigen Tagen eine erstaunliche Zwischenetappe erreicht, die noch vor kurzem von vielen Menschen als illusionär, ja als völlig unerreichbar eingeschätzt wurde: Am 1. Mai treten weitere zehn Staaten, unter ihnen mehrere ehemalige Sowjetrepubliken im Osten unseres Kontinents der Europäischen Union mit ihren fünfzehn Mitgliedsländern bei. Unser Österreich, das noch vor relativ wenigen Jahren direkt am Eisernen Vorhang lag, der mit seinen Stacheldrahtverhauen und Minenfeldern Europa brutal trennte, rückt damit wieder in die Mitte Europas. Im wahrsten Sinn des Wortes wird unser europäischer Kontinent nach unzähligen Jahren des gegenseitigen Hasses, der Feindschaft und mörderischer Kriege wiedervereinigt. Damit können freilich nicht alle Probleme auf einen Schlag gelöst werden, es ist kein Paradies auf Erden in Sicht. Wohl aber wird es möglich sein, uralte chronische Ressentiments jetzt zu überwinden, wenn ich etwa nur daran denke, dass es zwischen Steirern und Kärntnern auf der einen, und Slowenen auf der anderen Seite jetzt eine ganz neue Gesprächsbereitschaft gibt, und dass ähnliches zur allgemeinen Überraschung zwischen Tschechen und Österreichern geschieht.

 

Mit einem Wort: In Europa wächst allenthalben die Erkenntnis, dass die nationalen Egoismen ein Unglück für Europa waren und sind. Das erkennen wir und unsere Nachbarn nach unseren bitteren Erfahrungen der Kriege und der Nachkriegszeiten mit der Vertreibung von Millionen Menschen. Und heute sehen wir deutlicher denn je: Der Reichtum Europas liegt in der Vielfalt seiner nationalen Kulturen. Und auf Grund unserer insgesamt doch sehr positiven Erfahrungen mit der Europäischen Union können wir heute sagen: Wir haben jetzt ein neues, ein sich einigendes Europa, nun brauchen wir nur noch Europäer. Und diese Europäer sollen, ja müssen wir sein, wenn wir nicht die einmalige Chance vergeben wollen, die sich jetzt uns allen bietet. Und diese Chance dürfen wir nicht von den üblichen raunzerischen Unglückpropheten totreden lassen, die da und dort herumerzählen, dass jetzt die Fremden über uns kommen, dass wir bald im eigenen Land nichts mehr zu reden haben werden, und was es an Horrorgeschichten sonst noch gibt. In dieser Situation tut es gut, das sich acht Länder in unserer Nachbarschaft von Ungarn bis Bosnien, von Kroatien bis zur Slowakei zu einem mitteleuropäischen Katholikentag zusammengefunden haben. Denn so unerlässlich das politische Engagement ist, wenn das neue, größere Europa gelingen soll, und so unverzichtbar das wirtschaftliche Instrumentarium beim Aufbau dieses neuen Europa bleibt, so sehr sollten wir das Wort des unvergesslichen EU-Präsidenten Jacques Delors, eines Christen und Sozialisten, beherzigen, der schon vor Jahren gesagt hat: Europa braucht eine Seele.

 

In den nächsten Tagen geht es in Mariazell auch darum, und daher sollte unser Interesse und unsere Anteilnahme diesem Ereignis gelten.