Erfüllte Zeit

02. 05. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

 

Peter Pawlowsky - Radiokommentar zum Mitteleuropäischen Katholikentag

 

„Als Kirche Grenzen überwinden und Zeichen der Versöhnung setzen“ - das ist der zentrale Satz im Leitbild des Mitteleuropäischen Katholikentags. Der Anspruch ist hoch, aber niemand wird seine Notwendigkeit bestreiten. Der Dialog der Kulturen und Mentalitäten, den ein Eiserner Vorhang Jahrzehnte lang unterbunden hat, wird Zeit brauchen, um aus geographischen Nachbarn Nachbarn im Geist zu machen. Denn das zusammenwachsende Europa ist zerstrittener denn je und braucht dringend Kräfte der Versöhnung. Hier sind tatsächlich die Christen gefragt. Das Experiment eines grenzüberschreitenden Katholikentags findet also zum richtigen Zeitpunkt statt.

 

Gestern ist Europa größer geworden, an den Grenzen hat man einander die Hände geschüttelt, und in drei Wochen wird Mariazell zum Ziel einer „Wallfahrt der Völker“ - so nennen die Initiatoren den Höhepunkt des Mitteleuropäischen Katholikentags. Ist diese Bezeichnung gerechtfertigt? Sind die Völker der acht teilnehmenden Länder durchwegs römisch-katholisch? Ein alttestamentliches Motiv klingt in der Bezeichnung nach: Von der Wallfahrt aller Völker zum Berg Zion liest man bei Jesaja, aber der Prophet weiß wohl, dass er von einem Ereignis spricht, das für die Endzeit verheißen ist. Bis dahin sind Grenzüberwindung und Versöhnung weniger eine Sache des Feierns, als der redlichen Mühe. Daran gemessen bleibt der Katholikentag das Wichtigste schuldig.

 

Es war 1999, dass es erstmals gelang einen gesamtösterreichischen „Christentag“ als gemeinsame Veranstaltung aller christlichen Kirchen zu begehen. Damals hieß es: „Am Ende eines Jahrtausends der Kirchenspaltungen mühen wir uns um Versöhnung“. Hat man das fünf Jahre später vergessen? Statt eines Christentags wird ein Katholikentag gefeiert. Und es braucht schon eine Portion katholischen Triumphalismus, um den Eindruck zu erwecken, solcherart gleich alle Völker zu repräsentieren.

 

Dass es so gekommen ist, hat seine Geschichte. Das grenzüberschreitende Ereignis war ursprünglich von katholischen Laienorganisationen geplant worden. Die Hierarchie hat die Idee an sich gezogen und sie zu einer Sache der Bischofskonferenzen gemacht. Auf dieser hohen Ebene allerdings steht gerade in den ehemals kommunistischen Staaten die Rückgewinnung verlorener Positionen ganz oben auf der Wunschliste. Ökumene, die Versöhnung mit den anderen christlichen Kirchen, hat da nur wenig Bedeutung. Also haben sich die österreichischen Bischöfe angepasst. Haben sie es vielleicht nicht ungern getan? Stagniert doch auch hierzulande die ökumenische Bewegung aus Angst davor, dass die schrumpfende katholische Kirche durch allzu große Nähe zu Protestanten und Orthodoxen ihre Identität verlieren könnte.

 

Wenn also Katholiken aller Länder nach Mariazell wallfahren, so dient das sicher ihrer Selbstvergewisserung, aber es ist zugleich eine verpasste Chance. Wie soll denn glaubwürdig an der Grenzüberwindung in Europa gearbeitet werden, wenn Christen die Grenzen ihrer eigenen Konfessionen nicht überwinden können? Was gilt der Ruf nach Versöhnung, wenn er im eigenen Haus nicht beherzigt wird? Das „Jahrtausend der Kirchenspaltungen“ war ja keine bloß innerreligiöse Angelegenheit, sondern hatte schwere politische Auswirkungen. Im Namen desselben Gottes und desselben Christus wurden blutige Kriege gegeneinander geführt. Die Zerrissenheit Europas hat zu einem großen Teil die Kirchen zu verantworten.

 

Während Europa politisch zusammenwächst, genügt es nicht, auf die christlichen Wurzeln des Kontinents hinzuweisen. Die Kirchen müssen ihre Hausaufgaben machen, um glaubwürdig zu sein. Das große Fest zur rechten Zeit wird dem Anspruch, Grenzen zu überwinden und Zeichen der Versöhnung zu setzen, leider nicht wirklich gerecht. Erst ein Fest unter allen Christen wird tatsächlich eine Chance für Europa sein.