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Erfüllte Zeit16. 05. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Meinungskommentar zum Mitteleuropäischen Katholikentag - Prof.
Heinz Nußbaumer
Sie
kennen den „Hättiwari“ - diese literarische Kunstfigur des an
sich und der Welt zweifelnden und doch alles besser wissenden Österreichers?
Einer, der immer irgendwie gehindert wird, ein besserer Mensch zu
werden. Zwei
Wochen vor dem „Mitteleuropäischen Katholikentag“ in Mariazell
haben tausend „Hättiwari’s“ von uns Christenmenschen Besitz
ergriffen. Dazu
vier Zitate aus den vergangenen Tagen: „Hätten
die einen anständigen österreichischen Katholikentag gemacht - und
endlich über die ungelösten Konflikte in unserer Kirche geredet
– ich wär’ natürlich dabei“. Oder:
„Hätten die – so wie zuletzt die Deutschen – zu einer ökumenischen
Begegnung und nicht zu einem katholischen Fest geladen, ich hätt’
mich sicher engagiert“. Oder:
„Hätte der Papst nicht abgesagt – ich hätt’ mir’s wirklich
gern im Fernsehen angeschaut.“ Oder:
„Hätte ich nicht grad’ eine Toskana-Reise gebucht – ich wär’
sogar hingefahren.“ Es
stimmt schon: Manche Hoffnungen, die sich mit diesem Katholikentag
verbunden haben, werden wohl unerfüllt bleiben. Kirchen des Ostens
- eben noch verfolgt und noch lange nicht gefestigt - fürchten den
Sturmwind ungebremster Freiheiten. Fürchten im Wettbewerb der
Kirchen und Lebensstile um das Katholische. Fürchten sich vor zu
viel Selbstbewusstsein der Laien. Drängen auf Frömmigkeit und die
Selbstdarstellung einer hierarchischen Priesterkirche. Trotzdem:
80.000 Menschen kommen nach Mariazell. Aus acht Ländern. Viele
fahren Tag und Nacht, um mit dabei sein zu können. So wie es
aussieht, werden wir Österreicher - die Gastgeber – in unserem
Mariazell nicht gerade machtvoll vertreten sein. Und auch unser
Interesse hält sich in Grenzen. Ist
dieses Zögern wirklich nur die Folge enttäuschter spiritueller
Hoffnungen? Oder
spüren wir unbewusst, wie sehr dieser Kontinent solche Begegnung
der Menschen bräuchte - und scheuen uns vielleicht gerade deshalb
davor? Mariazell
– das ist ja nicht nur Beten und Singen. Es ist auch das
tausendfache Erlebnis menschlicher Nähe - unter ganz anderen
Vorzeichen als bei unseren Einkaufsfahrten über die Grenze – und
bei unseren Gesprächen mit Arbeitskräften von „drüben“. Es
ist die Begegnung im gleichen Geist - und auf gleicher Augenhöhe. Was
ist da seit dem Aufbruch in Osteuropa nicht alles geredet,
vereinbart und beschworen worden. Wie viele Europahymnen sind
gesungen, wie viele Feuerwerke gezündet worden. Gewärmt hat uns,
ehrlich gesagt, nur wenig. Ich
glaube, Europa bleibt so lange blass, so lange wir einander – bei
aller Verschiedenheit - nicht endlich als Gleiche erkennen. Als
Menschen mit gemeinsamen Wurzeln, geheimnisvoll verbunden auch durch
die Wasseradern tiefer christlicher Prägung. Ausgerechnet
ein Bosnier - islamisch geprägt und Bürger eines der großen
Opfervölker unserer Zeit – hat zum Auftakt dieses „Mitteleuropäischen
Katholikentags“ im vergangenen Juni den vielleicht berührendsten
Gedanken formuliert: „Europa auf das Christentum zu reduzieren,
das wäre sehr schade. Auf das Christentum aber zu vergessen, das wäre
eine Katastrophe.“ Warum
eine Katastrophe? Weil uns Christen dieses Überspringen der Mauern
zum „Du“, das Europa gerade heute sosehr braucht, eigentlich
leichter fallen müsste als anderen. Wenn jeder Mensch tatsächlich
ein Ebenbild Gottes ist – eine Vision übrigens, die von keiner
anderen Ideologie jemals eingeholt werden kann –, dann kann es
auch kein unterschiedliches Maß mehr für den Wert des Menschen
geben. Auch keine Übermenschen hier oder Untermenschen dort. Genau
diese Unverrückbarkeit des menschlichen Maßes macht unseren
Glauben aus - und schreckt uns zugleich in der gelebten Praxis. Denn
dann gäbe es ja niemanden mehr, auf den wir herunterblicken und
niemanden, von dem wir uns abgrenzen dürfen „Mit
meinem Gott überspringe ich Mauern“, schreibt der Psalmist. Und
hat wohl auch die Mauern im Kopf und in der Seele gemeint. Das
endlich zu entdecken, dazu lädt uns die neue Geographie Europas
ein. Dazu zwingt uns die Geschichte. Und dazu verpflichtet uns der
Glaube. Mariazell
könnte ein idealer Übungsplatz dafür sein.
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