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Erfüllte Zeit10. 10. 2004, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
Aus: John Shelby Spong „Was
sich im Christentum ändern muss. Ein Bischof nimmt Stellung“,
Patmos-Verlag Der Gott, den ich kenne, ist nicht konkret oder spezifisch. Dieser Gott
ist eher eingehüllt in Mysterien, Wunder und Scheu. Je tiefer ich
in die göttliche Gegenwart vorzudringen wage, desto weniger scheint
wörtlichen Formulierungen Bedeutung zuzukommen. Das gilt auch für
die Sätze des christlichen Glaubensbekenntnisses. Der Eröffnungssatz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses spricht
zuerst von Gott als dem „Allmächtigen Vater“. Das Wort Vater
ist ein menschliches Wort – so männlich, so zeitbedingt. Es
beschwört das traditionelle Gottesbild des alten Mannes, der im
Himmel thront, geradezu herauf. Es betont unüberhörbar die Männlichkeit
der Gottheit, eine Vorstellung, die über Jahrtausende dazu benutzt
wurde, um die Unterdrückung der Frauen durch religiöse
Einrichtungen zu rechtfertigen. Diese Geschichte und diese Praxis
stoßen mich heute ab. Die Sprache des Glaubensbekenntnisses stammt aus einer anderen Zeit, sie
ist nicht mehr die unsrige. Es spiegelt Behauptungen wider, denen in
dieser Generation niemand mehr zustimmen kann. Wir können unsere Vernunft nicht vor der Kirchentür
parken, damit wir die Worte für wahr halten, die unseren Glauben in
vergangenen Zeiten erläuterten, aber nicht mehr dazu taugen, heute
unser Verständnis von Gott zu erhellen. Unsere Aufgabe ist, weder am Buchstaben zu kleben noch die Worte des
theologischen Kompromisses von gestern heute gottesdienstlich zu
glorifizieren. Sie besteht eher darin, zu der Erfahrung zurückzukehren,
die diesen Worten des Glaubensbekenntnisses zu Grunde liegt, und
dann danach zu suchen, diese Erfahrung in Worte zu fassen, die wir
heute brauchen können, und zwar ohne uns als wahrhaftige und
aufrichtige Angehörige unseres Jahrhunderts zu kompromittieren. Als
gläubiger Mensch bin ich nicht dazu bereit, die Realität der ursprünglichen,
christlichen Erfahrung zu leugnen. Doch das zukünftige Verständnis
und die Gestalt des Christentums wird sich unvermeidbar und
grundlegend von allem unterscheiden, was uns aus der Vergangenheit
überliefert wurde.
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