Erfüllte Zeit

23. 01. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1

 

Ernesto Cardenal

 

Das Gebet ist etwas so Natürliches für den Menschen wie die Sprache, das Atmen oder das Schlagen eines verliebten Herzens. Es ist auch in Wirklichkeit nichts anderes als eine Klage, ein Seufzen, ein Blick oder ein Herzschlag. Das Gebet ist nichts anderes als ein Kontaktaufnehmen mit Gott. Es ist eine Verbindung mit Gott, die keine Worte und nicht einmal Gedanken braucht. Man kann sich mit einem Blick mitteilen oder mit einem Lächeln, mit Seufzern oder mit Taten. Tatsächlich ist jede Bewegung unseres Körpers ein Gebet. Unser Körper spricht ein tiefes Dankgebet, wenn er seinen Durst mit einem Glas Wasser stillt. Wenn wir uns an heißen Sommertagen in die Fluten eines kühlen Flusses stürzen, singt unsere Haut eine Dankeshymne an ihren Schöpfer, auch wenn dies ein irrationales Gebet ist, das ohne unsere ausdrückliche Zustimmung oder sogar gegen unseren Willen geschieht. Wir können aber willentlich aus allen unseren Taten ein Gebet machen.