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Erfüllte Zeit30. 01. 2005, 7.05 Uhr - 8.00 Uhr, Österreich 1
„Sünde
– was ist das?“ Der
Begriff der „Sünde“ ist für viele Menschen heute schwer verständlich
geworden; schon das Wort löst Abwehr aus. Die kirchliche Sündenlehre
wurde oft genug dazu missbraucht, Menschen einzuschüchtern. Vor
allem die kirchliche Sexualmoral wurde jahrhundertelang in einer
Weise vorgetragen, die neurotische Ängste, Verklemmungen und
Schuldgefühle begünstigt hat. Das alles könnte es nahe legen, auf
diesen Begriff überhaupt zu verzichten. Aber dadurch entsteht ein
Vakuum, das nicht zu füllen ist. Sinnvoller erscheint es uns, den
Begriff neu verstehen zu lernen. Das
griechische Wort für „Sünde“, hamartia, stammt aus der Kunst
des Bogenschießens und bedeutet eigentlich „Zielverfehlung“. Sündigen
heißt in diesem Sinne daneben treffen. Ich visiere zwar das
richtige und gute Ziel an, aber ich bin nicht gesammelt und
ausgerichtet genug, um es tatsächlich zu erreichen. In diesem Sinne
ist der Ausspruch des Kirchenvaters Augustinus gemeint: „Suche,
was du suchst – aber suche es nicht da, wo du es suchst!“. Im
deutschen Wort Sünde steckt die Wurzel sund, was so viel wie
„Kluft“ oder „Trennung“ bedeutet. Das Wort „Sünde“
bedeutet unsere Trennung von Gott, aber auch von unseren Mitmenschen
und von uns selbst. Sünden sind Fixierungen, die die Energie des
Lebens, Gottes Liebe, daran hindern, frei zu fließen. Wir verstehen
unter „Sünde“ jene selbst errichteten Blockaden und
Hindernisse, die uns von Gott und damit von der Fülle des Lebens
und unseren eigenen echten Potentialen abschneiden. Sünde sind
Versuche der Lebensbewältigung oder Lebenssteigerung mit
untauglichen Mitteln. Sünden sind Mogelpackungen; sie versprechen
etwas, was sie nicht halten können. Obwohl unsere Sünde zum Teil
Reaktion auf fremde Schuld ist, haben wir sie „gewählt“, halten
hartnäckig an ihr fest und sind für sie verantwortlich. Solange
wir andere beschuldigen und für unser Leben nicht selbst
Verantwortung übernehmen, kann die Trennung nicht überwunden
werden. Wir bleiben gefangen. (Aus:
Richard Rohr/A. Ebert „Das Enneagramm“, Verlag Claudius)
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