Das Evangelische WortSonntag, 22. 02. 2004, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Mag.
Barbara Knittel (Feldkirch, Vlbg.) „Ich
sah vier Menschenwesen, jedes mit vier Gesichtern, und ihre
Gesichter sahen so aus: ein Menschengesicht, ein Löwengesicht, ein
Stiergesicht und ein Adlergesicht“ (Ez.1/10) Ein mysteriöses Bild - vier Gestalten mit jeweils vier Gesichtern. Und das ist nur ein Teil aus einer größeren Vision, die der Prophet Ezechiel vor rund 2500 Jahren gehabt hat.
Mit
diesem Seh- und danach auch Hörerlebnis war für ihn eine
Gotteserfahrung verbunden. Wenn ich mir nur diesen kleinen Ausschnitt aus dieser Vision vorstelle, - Menschengestalten mit insgesamt 12 Tiergesichtern und 4 Menschengesichtern - dann liegt es für mich nahe, an Masken zu denken. Jetzt in der Faschingszeit - an die vielen Tiermasken, die Varianten von Menschenmasken bis hin zu den Hexen, den Ungeheuern. Ich finde das nicht nur lustig und harmlos, sondern auch unheimlich. Wie tief das gehen kann, wenn man sich mit Masken beschäftigt, das habe ich einmal in einer Gruppe erlebt. Jede und jeder hat zuerst das eigene Gesicht für eine Weile im Spiegel angesehen. Und langsam sind andere Gesichter dazu aufgetaucht. Das, was die einzelnen hinter oder neben dem eigenen Gesicht gesehen haben, wurden dann auf Papier gezeichnet, um daraus Masken herzustellen.
Es
war faszinierend, wie vielgesichtig die einzelnen geworden sind, und
wie passend zu den
Einzelnen diese Masken waren: die Raubtiere und Schlangen, die
niedlichen Katzen und Mäuse, die Prinzessinnen und Hexen, die alten
und ganz jungen Menschen. Wir waren erstaunt, was für ein breites
Spektrum sich bei den einzelnen aufgetan hat. Ein Gesicht lässt ja
manches erahnen. Was in den Menschen aber steckt, das geht weit über
das Gesicht hinaus. Archaisches, Uraltes kann da auftauchen,
wirklich Verbundenes mit der Tierwelt, Erträumtes und auch
Ungelebtes..
Um nun zu diesen vier mal vier Gesichtern aus der uralten, visionären Gotteserfahrung zurück zu kommen: da helfen solche Erfahrungen mit Masken, um besser zu erahnen, was in diesem merkwürdigen Bild stecken könnte. Ich denke ja nicht, dass es da um eine Schilderung geht, wie Gott wohl ausgesehen haben könnte, eher denke ich, dass aus den Tiefen des Menschen Ezechiel etwas aufgetaucht ist, das sehr wohl mit einer Gotteserfahrung verbunden sein kann. Auch da ist ein breites Spektrum entfaltet. In den Tiergesichtern spiegeln sich Gottheiten wider, die es im damaligen mesopotamischen und ägyptischen Raum gegeben hat.
Stiergottheiten,
die mit Wildheit und Urgewalt der Natur verbunden sind. Löwengottheiten,
die Bewunderung und Furcht auslösen. Adlergottheiten, die in ihrer
Würde und ihrem kraftvollen Schweben mit der himmlischen Sphäre
verbunden sind, und die menschengesichtigen Gottheiten, die das
Verwandte zum Menschen in der Begegnung von Gesicht zu Gesicht
widerspiegeln.
So faltet sich in dieser Vision eine Vielheit auf. Archaisches ist integriert, auch das Unheimliche, auch das Tierische, auch das Menschliche. Das Vergangene aber auch das Zukünftige, denn diese Erfahrung steht am Anfang eines Prophetenweges. Und in jüdischer und christlicher Tradition kommt ja noch ein Kontrapunkt hinzu: keine Bilder reichen aus, um das Geheimnis zu beschreiben, das wir mit Gott verbinden.
Aber
angenähert hat sich der Prophet Ezechiel über seine Bilderwelt.
Das schmälert nicht seine ergreifende Erfahrung. Genauso geschieht
ja heute Annäherung an Göttliches, nämlich auch über eine reiche
Bilderwelt. Wenn ich die nicht absolut setze, dann kann sich in
Gotteserfahrungen ein weites Spektrum entfalten, mit all der
Bescheidenheit - auch das ist nicht alles. Humorvoll hat der
Dichterpfarrer Kurt Marti von der geselligen Gottheit geredet,
„von UR an: Gott in Geselligkeit“. Von da aus
hört sich diese Vision
vielleicht etwas anders an: „Ich sah vier Menschenwesen, jedes mit vier Gesichtern, und ihre Gesichter sahen so aus: ein Menschengesicht, ein Löwengesicht , ein Stiergesicht und ein Adlergesicht“ |