Das Evangelische Wort

Sonntag, 21. 10. 2001,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von  Univ. Ass. Mag. Hellmut Santer, Evang.-theol. Fakultät der Universität Wien

 

Angst – Die Angst geht um; die Angst vor etwas, was uns bisher ganz fremd ist. Diese Art von Bedrohung, die wir momentan erleben, haben wir bisher nicht gekannt, vermutlich gar nicht für möglich gehalten.

 

Unsere normale Reaktion, wenn wir Angst haben, ist, dass wir uns zurückziehen auf das, was uns vertraut ist. Wir schützen uns, indem wir uns gegen das, was uns Angst macht, oder gegen denjenigen, der uns Angst macht, abgrenzen. Das tun wir im persönlichen Bereich – auch mit Gefühlen oder Wünschen, die uns ängstigen; und das tun wir in unserem sozialen Umfeld. Wir grenzen uns ab und verteidigen uns gegen die, die anders sind als wir und damit unsere eigenen Lebensvorstellungen in Frage stellen; oder weil sie schon so ausgegrenzt sind, dass sie voller Aggressionen uns wirklich bedrohen.

 

Auch die Bevölkerungen der Länder aus deren Reihen uns so viel Aggression und Zerstörung erreicht, sind uns fremd; waren uns immer fremd – auch wenn wir vielleicht einmal als Touristen irgendwo dort waren und in dieser Mischung zwischen Faszination und Ablehnung einer fremden Kultur, ihren Eigenheiten und oft auch der Armut, die wir dort sehen.

 

Vielleicht kennen sie auch dieses Gefühl zurückzukommen nach Österreich nach so einer Reise mit dem Gedanken: Schön, hier zu leben, Gott sei Dank geht es uns hier gut ...

 

Und plötzlich erleben wir, dass es dieses Zurückkommen in das vertraute, geschützte Umfeld so nicht mehr gibt. Wir können dem Fremden nicht mehr ausweichen – es gehört mit zu uns dazu. Auch in seinen hässlichsten Fratzen.

 

Wir leben in einer Weltgemeinschaft, in der wir uns nicht mehr hinter die Grenzen von Ländern zurückziehen können. Landesgrenzen auch nicht mehr schützen. Es gibt diesen vertrauten Bereich nicht mehr, in dem uns nichts gefährden kann.

 

Wie sollen wir mit diesen fremden, zerstörerischen Aggressionen in der Weltfamilie umgehen? Natürlich müssen wir einerseits klare Grenzen ziehen und Nein sagen dort, wo Leben gefährdet und zerstört wird. Aber so, wie es jetzt versucht wird, hat es den Charakter einer Notoperation, wenn die Krankheit schon im fortgeschrittenen Stadium ist; Und so eine Notoperation hat Konsequenzen, an denen wir alle zu leiden haben und die unsere Befürchtungen und Ängste nicht wirklich beruhigen kann.

 

In der Apostelgeschichte wird erzählt, dass Petrus als Jude große Angst hatte, den damals sogenannten Heiden zu begegnen und mit ihnen womöglich eine Gemeinschaft zu bilden; sie auch als Christenmenschen sehen zu können. Eines Nachts hat er einen Traum, in dem Gott ihm Tiere zu essen gibt, die Petrus von seiner Tradition her gräulich und unrein sind, die er niemals essen würde. Er hört Gottes Stimme zu ihm sagen: Was Gott rein gemacht hat, das nennen du nicht unrein". Petrus versteht den Traum so, dass auch die Menschen, die ihm so fremd erschienen sind, die Heiden, nicht länger ausgegrenzt werden dürfen und er stimmt zu, dass auch sie getauft werden und zur Christengemeinde gehören dürfen.

 

Vielleicht kann diese Erkenntnis des Petrus, die letztlich auch ermöglicht hat, dass die christliche Religion heute viele Menschen und Länder über alle Grenzen hinweg, umspannt, dass sie sich so ausbreiten konnte, langfristig eine andere Medizin sein für das, was wir an Krankheit in der Menschenfamilie zur Zeit erleben.

 

Das könnte heißen: die Menschen, mit denen wir in der Welt zusammeleben ganz neu und bewusst zu verstehen als Geschöpfe Gottes mit denen wir verbunden sind auch wenn sie ganz anders Leben, ganz andere Kulturen und andere Religionen hervorgebracht haben.

 

Vielleicht kann der Gedanke: Auch du gehörst zu unserer Familie, Menschenfamilie, ein neues Kennenlernen und Verständnis untereinander schaffen. Und vielleicht können die Werte unserer westlichen Welt, auf die sich heute viele berufen, dann auch dazu führen, dass viel unterschiedliches Platz bekommt zum Leben und dass wir auch in sozialer Hinsicht einen Ausgleich schaffen können.

 

Damit können wir alle unseren Beitrag leisten, dass wir auf eine Zukunft zugehen, wo nicht mehr Angst und Zerstörung uns lähmt, sondern wir den Frieden erleben, den Gott uns Menschen zugesagt hat, uns allen, die wir zu dieser großen Menschenfamilie gehören.