Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 12. 2001,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr

 

 

von Josef Prinz

 

 

Offenbarung 21,1: Und ich sah einen 
neuen Himmel und eine neue Erde; denn
der erste Himmel und die erste Erde verging...

 

Es stimmt traurig, dass viele Menschen so tun, als hätten sie nichts zu erwarten. Noch trauriger stimmt mich, dass viele Menschen wirklich nichts zu erwarten haben, nichts, was sie erwartungsfroh stimmen könnte.

 

Als Glaubende haben wir mehr als alles zu erwarten: Wir alle gehen schwanger mit dem neuen Himmel, mit der neuen Erde ...

 

Und alles das kommt nicht von ungefähr: Das Kind schreit schon, nicht erst in vierzehn Tagen.

 

Gott sagt schon heute: Lasst mich bitte nicht länger warten auf eure Zuwendung, auf eure Liebe ...Ich brauche euch jetzt. Gott braucht uns. Gott wartet auf uns.

 

Ich wünsche mir und uns allen, dass wir wieder das Warten lernen, und zwar da, wo das Leben erst durchs Warten-Können zum Leben wird, und zwar da, wo das Leben erst durchs Warten-Wollen zum Leben wird.

Ich denke da nicht nur an die neun Monate. Ich denke da nicht nur an die vier Wochen. Ich denke zum Beispiel auch an nigelnagelneue Wohnhäuser, die ruhig ein halbes Jahr lang leer stehen und trocknen können sollen. Ich habe fast nie ein neues Wohnhaus gesegnet, wo nicht die Bewohner geklagt hätten: Wir haben den Schimmel im Bad, wir haben da und dort den Schimmel.

 

Herr Pfarrer, wir können uns das Warten nicht leisten, sagen die Bauherren, die Vertreter der Genossenschaften.

 

Zum Glück sind wir auch adventliche Menschen und nicht nur praktische Menschen. Zum Glück sind wir auch Bürger des Gottesreiches und nicht nur stolze moderne Schildbürger. Darum können wir uns Advent leisten. Darum können wir uns Wartezeiten leisten. Es gibt so vieles im Leben, das ohne Warten nicht aufleben kann, das ohne Warten nicht überleben kann.

Vorfreude ist nicht immer die größte Freude, aber groß genug, so groß, dass wir diese Vorfreude immer wieder auch ganz bewusst genießen können ....

 

Das Leben besteht unter vielen anderen Gegensatz-Polen auch aus diesen beiden: Nicht-Warten und Warten. Nicht-Warten hat seinen Wert und Warten hat seinen Wert. Das macht unser Leben spannend. Wenn aber nur mehr das Nicht-Warten einen Wert hat, wenn nur mehr das einen Wert hat, was ohne Warten auskommt, was ohne Warten-Müssen kommen kann, wenn nur mehr das einen Wert hat, was ich mir sofort mit einem schnellen Kredit kaufen kann, wenn nur mehr das einen Wert hat, was sofort machbar ist, was schnell geht, was immer schneller geht, dann geht bald gar nichts mehr, ich fürchte: dann haben wir bald gar nichts mehr zu erwarten.

 

Wenn nur mehr das kommen darf, was zu unseren eigenen Lebzeiten kommt, wenn wir nur mehr das erwarten wollen, was wir zu unseren Lebzeiten auch erwarten können, wenn wir nicht mehr für unzählige Generationen warten wollen, wenn wir nicht mehr für Jahrtausende voraus glauben, voraus hoffen und voraus lieben wollen, ich fürchte: dann hat schon die nächste Generation nichts mehr zu erwarten, dann können wir heute schon aufhören, für morgen zu planen.

 

Adventzeit, Warte-Zeit, Einübung in das Warten-Können in das warten Wollen - ja auf bessere Zeiten, ja: auf den neuen Himmel, ja: auf die neue Erde, ich wünsche mir – ich wünsche uns allen, dass man uns das ansieht, uns Glaubenden. Wir haben etwas zu erwarten, wir sind erwartungsfroh ... Nicht nur an den drei Adventkerzen soll man es sehen. Auch in unseren Augen soll man es sehen. Nicht nur in unseren Augen, sondern auch an der Art und Weise, wie wir mit einander umgehen, wie wir miteinander tun.

 

Gott braucht uns. Gott wartet auf uns. Worauf warten wir?