Das Evangelische Wort

Sonntag, 27. 01. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von Pfr. Martin Müller (Waiern, Kärnten)

 

 

Worte wie Fallbeile (zu Matthäus 15,11)

 

"Was zum Mund eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was vom Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen" sagt Jesus.

 

Eigentlich wollt ich´s nicht sagen! Aber im Ärger ist´s mir dann doch rausgerutscht. Denn in der Hitze der Diskussion zählt nur noch, was den andern niederringt. Es regen sich die Instinkte, sagt man. Nicht immer die edelsten. Und dann fallen Worte, die verletzten und weh tun. Jetzt war es raus. Der andere hat die Tür zugeknallt. Das Porzellan ist zerschlagen, die Brücke abgebrochen. Und mir ist klar: Worte können sein wie Arsen, wie Fallbeile, die abbauen.

 

"Was zum Mund eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was vom Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen" sagt Jesus.

 

Ein Wort fügt sich ans andere. Zuerst ist es ein lockeres Geplänkel, nicht so ernst zu nehmen unter Schülern. Aber dann kommen Mädchen dazu. Und einige Burschen glauben, sie müssten sich als besonders cool darstellen, indem sie sich gegenseitig anstacheln. Die Spannung steigt. Die Worte "Fetzenschädel" und "Wimmerlkönig" fallen, und einige finden das ganz besonders lustig. Irgendwann ist dann der Damm gebrochen. Fazit der kräftigen Schlägerei am Schulhof: 2 zerrissene T-Shirts und eine gebrochene Nase.

 

"Was zum Mund eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was vom Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen."

 

"Die russische Erde sei von allem Ungeziefer zu säubern!" sagt Lenin 2 Monate nach der Oktoberrevolution. Und mit "Ungeziefer" meint er jene Bauern und Intellektuellen, die sich dem Gedanken der Revolution noch nicht mit Feuer und Flamme angeschlossen haben. "Ungeziefer" das Stichwort – "Säuberung" von Menschen die erschreckende Vision. Die Wirkung solcher Worte lässt nicht lange auf sich warten: Vertreibungen, Zwangsarbeit, Tötungen, die in die Millionen gehen. Worte wie Arsen. Und es finden sich genug Fanatisierte, die solche Worte in die Tat umsetzen.

 

"Was zum Mund eingeht, das verunreinigt den Menschen nicht, sondern was vom Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen."

 

Was Worte alles auslösen können. Wie Worte die menschliche Seele vergiften können. Wie sie Instinkte wachrufen und Hass und Gewalt verbreiten können. Wer einen Blick in die Geschichte tut, findet an Beispielen Legion.

 

Leider bleibt auch die Gegenwart an Beispielen nichts schuldig: Länder, die zuerst medial aufrüsten in Wort und Bild, um dann genug Befürworter zu haben, wenn sie mit ihren Bombardements losschlagen können. Comic-Serien, die dann umso höhere Einschaltziffern bringen, je unflätiger und ausgrenzender sie ihre Dialoge ansetzen. Wen wundert´s, wenn dann der Schritt zur Gewaltbereitschaft nur ganz klein ist? Und auch in der Politik hat ein seltsam respektloser Umgangston Einzug genommen. Nicht sachliche Auseinandersetzung ist die Devise, sondern es geht um den Unterhaltungswert, um das Entertainment. Kontrahenten werden nicht selten abqualifiziert und lächerlich gemacht. Und die Retourkutsche kommt prompt und legt noch ein Schäuferl nach. Wann bricht der Damm? Vertrauen zwischen den Volksgruppen oder gut nachbarschaftliche Beziehungen zwischen Staaten, wie sie nach leidvoller Geschichte mühsam in jahrzehntelanger Arbeit wiederaufgebaut worden sind – in wenigen Sätzen, mit einem Streich werden sie zunichte gemacht. Wir spüren: der Radikalismus der Sprache ist ein Spiel mit dem Feuer.

Es gilt umzukehren, und eine Sprache zu finden – im Kleinen wie im Großen -, die nicht nur den Bauch, sondern vor allem auch den Kopf und das Herz anspricht. Die trotz aller Meinungsunterschiede respektvoll miteinander umgeht. Die nicht auf die Emotionen des Bauches setzt, sondern auf die Kraft der Argumente.