Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 02. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von Superintendent Werner Horn (Wien)

 

 

Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten. (Psalm 27,4)

 

"Österreicher sind religiös - aber schwänzen Kirchgang." Unter dieser Überschrift berichtete eine Tageszeitung kürzlich über eine Umfrage, die ergab, dass nur mehr 14 Prozent Österreicher regelmäßig in die Kirche gehen. Die Österreicher seien zwar weiterhin religiös, aber die Kirchenbänke bleiben zunehmend leer. Gründe dafür wurden nicht erhoben. So kann man rätseln und sich fragen, warum das so ist. Warum die Gottesdienste zunehmend weniger besucht werden und die Menschen lieber zu Hause bleiben. Liegt es an der unpassenden Uhrzeit oder daran, dass die Gottesdienste einfach unattraktiv und zu wenig einladend gestaltet werden? Liegt es an einem zu wenig differenzierten Gottesdienstangebot oder ist das Fernbleiben vom Gottesdienst auch ein Ausweis eines bequem und träge gewordenen Glaubens?

Wie gesagt - Gründe wurden nicht genannt und sie sind sicher auch vielschichtig. Die Sehnsucht des Psalmbeters nach dem Haus Gottes, um – wie es wörtlich heißt – seine Freundlichkeit zu schauen, liegt dem heutigen Menschen eher fern. Religiosität in Gemeinschaft zu leben, ihr Ausdruck zu verleihen in Anbetung und Lob, im gemeinsamen Singen und Beten und im Hören auf das Wort der Bibel, liegt eher weniger im Interesse der Österreicher und die Evangelischen schneiden hier noch einmal schlechter ab.

Es ist schon richtig: Gott ist überall und nicht nur in der Kirche und zum Beten braucht man nicht unbedingt eine Kirchenbank. Gespräche mit meinem Gott kann ich auch zu Hause oder in der U-Bahn führen. Die Frage ist nur, ob ich’s auch wirklich tue. Ob die Bequemlichkeit im Blick auf den Gottesdienst nicht zu einer allgemeinen Bequemlichkeit wird, überhaupt meine Religiosität zu praktizieren.

Religiöse Wünsche und Vorstellungen gibt es ja durchaus auch heute. Fast 40 Prozent bezeichnen "Frömmigkeit und christlichen Glauben" als wichtiges Erziehungsziel. Viele schicken ihr Kind in eine christliche Privatschule, weil sie möchten, dass ihrem Kind auch religiöse Grundwerte und Gefühle vermittelt werden. Selbst die, die mit der Kirche nicht mehr viel zu tun haben wollen, fangen, wenn es eng wird in ihrem Leben, plötzlich an zu beten und rechnen mit einem Gott, der sie in der Not nicht allein lässt.

Jede Beziehung freilich braucht eine Pflege. Die Beziehung unter Eheleuten und Freunden ebenso wie die Beziehung zu Gott. Sonst besteht leicht die Gefahr, dass Gott zu einer Art Automat degradiert wird, dessen man sich nur im Bedarfsfall bedient. Ich halte es hier lieber mit den 930.000 Österreicherinnen und Österreicher, die sich gerne als regelmäßige Gottesdienstbesucher bezeichnen und die damit sicher nicht nur eine von der Kirche vorgeschriebene Pflicht erfüllen wollen, sondern denen der Gottesdienst ein inneres Anliegen und Bedürfnis ist, weil sie in ihm Gemeinschaft erleben, Orientierung und Lebenshilfe erfahren und Stärkung für ihren Alltag.

Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der Wellness zum obersten Prinzip erklärt wird. Jedes Hotel, das etwas auf sich hält, ist ein Wellness-Hotel und preist den Menschen Entspannung vom Alltagsstress und Erholung in tausend Variationen an. Ich frage mich nur, warum denken wir dabei immer nur an unseren Körper. Könnte der Gottesdienst nicht auch so etwas wie eine Art Wellness-Stunde für die Seele sein, eine Art Erfrischung, nach der sich wieder besser leben lässt. Ich erfahre ihn jedenfalls so und darum ist er mir wichtig und ich möchte nicht auf ihn verzichten.

So kann ich den Wunsch und die Sehnsucht des Beters aus dem 27. Psalm gut verstehen, für die in einer oft unfreundlichen Welt die Begegnung mit einem freundlichen Gott einfach eine Wohltat ist und der sagen kann:

 

Eines bitte ich vom Herrn, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des Herrn bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn und seinen Tempel zu betrachten.