Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 02. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von Barbara Knittel

 

 

"In Zelten siedelt all eure Tage, damit ihr lange lebt, auf dem Boden, auf dem ihr Gäste seid." (Jer.35/7)

 

Vor einigen Tagen habe ich mich von einem Freund, der in Israel lebt, verabschiedet. Bei seiner Abreise war er zuversichtlich und trotzdem war da zwischen uns die bange Frage- wird er heil bleiben.

 

Seither sehe und höre ich anders hin, wenn es um die Berichte über die Israelis und die Palästinenser geht. Nicht nur in Sorge um ihn sondern mit einer anderen Betroffenheit.

 

Welche Züge kommen da zum Vorschein, wenn Menschen mit Gewalt gegen Haus und Leben anderer vorgehen, wenn sie sich selbst umbringen, um andere umzubringen. Ein Konflikt mit vielen Facetten! Eine Facette davon ist der Kampf um den Boden, den Lebensboden. Eine treibende Kraft darin ist die Suche nach Heimat.

 

Der Rahmen, in dem auch ich etwas von dieser Heimatsuche erlebe, ist persönlicher und kleiner. Aber die Kraft, mit der ich selbst Heimat gesucht habe und noch immer suche, ist nicht so anders. Es war z. B. mein Partner, in dem ich Heimat finden wollte, meine Kinder, unser Garten, unser Haus. Was ich inzwischen bemerkt habe, - diese Suche geht nie ganz auf und hört nie auf. In anderen Menschen Heimat zu suchen, das erlebe ich heute als eine Überforderung für beide Seiten. Es ist ein Unterschied, Menschen lieben zu lernen oder in ihnen Heimat zu suchen. Da bleibt ein fremder Rest. Und sicheren Boden unter den Füßen zu haben, das ist wunderschön! Aber auch da bleibt ein Rest. Eine Testfrage an mich ist immer wieder, könnte ich da auch gehen oder hat mich der Besitz von Haus und Garten im Griff?

 

Natürlich, diese Themen sind nicht vergleichbar mit dem, was Palästinenser und Israelis jetzt erleben, aber manches wird mir einfühlbarer, wenn ich an meine eigene Heimatsuche denke. Deshalb ist es paradox, dass ich im Zusammenhang damit am meisten von den Juden gelernt habe, aus dem Buch ihrer Geschichten, dem ersten oder Alten Testament. Eines der Hauptthemen darin ist die Suche nach dem Land, in dem Milch und Honig fließt, für sie ein schönes und schlichtes Bild für Heimat. Und die wichtigste Erfahrung des Volkes Israel darin ist - die Heimatsuche geht nie ganz auf. Die Israeliten sind zwar angekommen, aber sie mussten immer wieder gehen.

 

Eine Stammesgruppe innerhalb des jüdischen Volkes, die eher als konservativ, womöglich als verschroben galt, die Rechabiter haben deshalb folgenden Leitsatz gehabt. Sich keine festen Häuser zu bauen, als Gast auf dem Boden, auf dem Land unter ihren Füßen zu leben. Gast zu sein, ein Stück fremd zu bleiben, das war ihre Lebensphilosophie. Und der Hintergrund dafür war ein spiritueller. In der damaligen Sprache, um besser auf Gott zu horchen und nicht andere Götter zu besitzen. Heute könnte das heißen – sich zu öffnen für eine Verbundenheit mit Gott, mitten in der Heimatsuche mit all ihren Schattierungen, aber auch weit darüber hinaus.

 

Weil die Heimatsuche zur einer Gier werden kann - und das passiert nicht nur im nahen Osten - könnte dieser Satz aus der jüdischen Tradition wie ein Kontrapunkt wirken:

 

"In Zelten siedelt all eure Tage, damit ihr lange lebt, auf dem Boden, auf dem ihr Gäste seid."