Das Evangelische Wort
Sonntag, 17. 03. 2002, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr,
von Michael Chalupka,
Direktor der Diakonie Österreich
Denn du bist der Geringen Schutz gewesen, der Armen
Schutz in der Trübsal, eine Zuflucht vor dem Ungewitter, ein
Schatten vor der Hitze. (Jes.25, 4)
Oft tut es gut, den Blick über die Berge zu heben.
Wenden wir uns nach Westen. In diesen Tagen in der Schweiz wird die
gottesdienstliche Kontemplation empfindlich gestört. In der sonst
so ruhigen, bürgerlichen Schweiz werden Kirchen besetzt.
Gruppen von Menschen besetzen Kirchen, um auf ihr
Schicksal aufmerksam zu machen. Nach einigen Wochen ziehen sie
weiter. Sechs Wochen sind sie in der römisch-katholischen St.
Marien-Kirche im Wylerquartier von Bern geblieben, um dann in die
evangelisch-reformierte Pauluskirche weiterzuziehen.
Die Kirchenbesetzer gehören zur Bewegung der "sans
papiers", der "Papierlosen". Das Papier, das ihnen
fehlt, ist die Schweizer Aufenthaltsbewilligung. Mit ihrer Aktion
wollen sie ihr Problem an die Öffentlichkeit tragen, aus der
Anonymität heraustreten, die sie aus der Angst, ihre Arbeit zu
verlieren und ausgewiesen zu werden, gewählt haben.
Sie wählen, die Kirchen als Ort ihres Protests,
weil sie sich da noch am ehesten geschützt fühlen.
Die Kirchen müssen reagieren. Ein Gemeindeglied
versucht es von der heiteren Seite zu nehmen: "Die Kirchen
wünschen sich ja immer volle Kirchenbänke. Die haben sie ja
jetzt."
Doch die Bewegung nimmt zu. Es sind keine
Einzelfälle. Die römisch-katholische Landeskirche des Kantons Bern
gibt sogar eine "Empfehlung für das Verhalten bei
Kirchenbesetzungen" heraus. Sie warnt dort im Sinne eines
christlichen Umgangs mit den Betroffenen, die Besetzer nicht
vorschnell als Kriminelle zu etikettieren, und die Bestimmungen des
Strafgesetzbuches über den Hausfriedensbruch nicht zu bemühen.
Die Kirchen haben ein Problem. Das Problem der
"sans papiers", der "Papierlosen", die illegal
in der Schweiz leben und sich ihr Geld am grauen Markt der
Schwarzarbeit verdienen, wird zum Problem der Kirchen. Denn Kirchen
fühlen sich verpflichtet, Schutz und Obdach zu bieten und Zuflucht
vor dem Ungewitter, weil sie ihrem Gott verpflichtet sind.
Wer aber sind die Besetzer? Einer von ihnen ist
Ljazim Bakjiu. Ljazim Bakiju kam 1990 in die Schweiz. Er arbeitete
als Saisonier. Monatsweise wurde seine Arbeitskraft verlangt.
Dazwischen ging er wieder nach Hause nach Mazedonien. Ljazim war
Saisonarbeiter. Doch Ljazim war auch ein Mensch. Er lernte sich
verständigen. Heute spricht er schweizerdeutsch mit mazedonischem
Akzent. Ljazim lernte Freunde kennen. Langsam begann Ljazim Wurzeln
zu schlagen. Ob Ljazim sich verliebte, weiß ich nicht. Das alles
ging abrupt 1996 zu Ende. Nach der sechsten Saison gab es keine neue
Aufenthaltsbewilligung mehr für Ljazim. Er ging nicht zurück, wie
viele seine Kollegen, die inzwischen ihre Familien nachgeholt
hatten.
Ljazim Bakiju ist selber schuld. Er ist illegal,
sagen die Behörden und sie haben recht. Denn die Gesetze sind wie
sie sind und sind zu befolgen. Arbeiter für eine Saison hat man
gerufen, aber Menschen sind gekommen. Menschen mit Bedürfnissen und
Gefühlen, die über eine Saison hinausgehen. "Man will den
Kopf, der denkt, die Arme, die arbeiten - aber man will unsere
Person nicht, die dazugehört", sagt Ljazim.
Die Behörden haben kein Problem. Ljazim und die
"Papierlosen" haben ein Problem. Und die Kirchen haben ein
Problem. Denn ihre Räume werden besetzt, weil man sich von ihnen
Schutz erwartet. Und sie machen gute Miene zum bösen Spiel. Denn
Kirchen fühlen sich verpflichtet, Schutz und Obdach zu bieten und
Zuflucht vor dem Ungewitter, weil sie ihrem Gott verpflichtet sind.
Natürlich haben die Kirchen in der Schweiz schon
vor Jahren gewarnt, dass das Saisoniermodell zu Problemen führen
wird und dass man Menschen nicht auf ihre Arbeitskraft reduzieren
dürfe. Doch ihre Kritik war nichts wert. Und weil die Kirchen
Kirchen sind und an ihrem Auftrag stur und unverbrüchlich
festhalten, haben sie jetzt das Problem, vor dem sie immer gewarnt
haben.
Hinter den Bergen im Osten, werden keine Kirchen
besetzt, es gibt auch keine Bewegung der "sans papiers",
die Regelung der Saisonarbeiter wurde ja auch eben erst eingeführt.
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