Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 03. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von Landessuperintendent Peter Karner

 

 

Wenn nun ein Mädchen an die Reihe kam, zum König Ahasver hineinzugehen, dann hatte sie vorher 12 Monate lang die für Frauen vorgeschriebene kosmetische Behandlung erhalten: sechs Monate wurde sie nämlich mit Myrrhenöl und weitere sechs Monate mit Balsamöl und anderen Schönheitsmitteln behandelt. Danach durfte sie zum König hineingehen. Und sie durfte alles mitnehmen, was ihr Herz begehrte. (Esther 2, 12-13)

 

Am Hof des Königs von Persien konnten die Frauen leicht schön sein, stand ihnen doch der königliche Schönheitssalon mit allen seinen Finessen zur Verfügung. Da haben es die Schönheitsköniginnen anno Domini 2002 schon schwerer, wenn sie sich heutzutage den taxierenden Blicken der Macho-Könige aussetzen wollen. Wenn man den Fernseh - Talkshows glauben darf, dann sind 100.000e Frauen frustriert, weil ihnen der eigene Anblick nicht gefällt. Doch die Hilfe folgt sogleich!

 

"Schönheit kommt aus der Beauty-Farm", schreien die Werbeplakate. Also pilgern Weiblein - und immer mehr auch Männlein - zum Tempel der Schönheit, wo einschlägige Priesterinnen die Hässlichen, die Verbrauchten, die Schlaffen, die Außer-Form-Geratenen wieder schön machen sollen.

 

"Schönheit kommt aus der Beauty-Farm - und da kommen sie alle daher mit ihren Gesichtern, in denen alles geschrieben steht: Angst und Schmerz. Enttäuschung und Bitterkeit, Gier und Frustration, Sattheit und unbegründeter Stolz. Und sie alle sagen: "Mach uns schön, Priesterin, mach uns jung Priesterin, dass man die Bitterkeit nicht im Gesicht sieht, und die Gier und die Leere." Wird die Maske halten? Darf die Priesterin zugeben, dass sie nicht zaubern kann? Und die gläubigen Schönheitsanwärterinnen: Was müssen sie erlebt haben, dass sie ausschauen, wie sie ausschauen ?

 

"Schönheit kommt aus der Beauty-Farm. Das ist die Stunde der Versuchung für die "Priesterin". Denn die Menschen wollen ihr Gesicht verändern. Sich selbst, ihr Herz, ihre Seele - wollen sie nicht verändern. Sie wollen nur gut aussehen, aber gut sein? Und sie sind alle überzeugt davon, dass ihr Lebensstil, ihre Ideale und Laster, ihre konservative oder progressive Spießigkeit nichts mit ihrem Aussehen zu tun hat. Die Jünger und Jüngerinnen einer Art "Wellness-Kirche" sind viel naiver als der berüchtigte Dorian Gray des Dichters Oskar Wilde. Der hat sich gewünscht, ewig jung und schön zu bleiben, während nur sein gemaltes Portrait dem Alterungs- und Verwüstungsprozess ausgeliefert sein sollte. Oscar Wilde hatte sich bestimmt einige gute Bonmots über die "Wellness-people"' einfallen lassen, die ihren derangierten Körper grundsätzlich und jederzeit für verschönerungsfähig halten. Also spiel "den lieben Gott", "die liebe Göttin", Priesterin oder tu wenigstens so. Behandle die Unzufriedenen mit Salben. Gib der Megäre zarte Jugend, verleih dem Playboy Frische, forme Charakterköpfe aus Tränensacken und Doppelkinn.

 

Aber auch die Mitglieder einer "Wellnes-Kirche" haben natürlich Fairness verdient. Sie bekommen ja etwas für ihr Geld: einen neuen Busen, eine neue Nase, ein glattes Gesicht, mehr Haare, einen neuen Hintern und vielleicht sogar ein längeres Renommierorgan. Und alles sieht so attraktiv aus wie bei den schönen Einheitsmenschen in der Werbung. Nur ihre böse, alte Seele ist ihnen geblieben. Oder soll die Gott-behüte auch schon auf ein fesches Normalmaß therapiert worden sein?