Das Evangelische Wort

Sonntag, 12. 05. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

Superintendent Mag. Werner Horn

 

Ein schönes Wochenende wünschen wir einander am Freitagnachmittag, wenn die Arbeitszeit zu Ende ist und viele den Weg in das Wochenendhaus antreten. Zu diesem Wochenende gehört auch der Sonntag, wenngleich er eigentlich der erste Tag der Woche, also der Wochenbeginn, ist. Christen haben seit jeher diesen Tag gefeiert, weil Jesus am ersten Tag der Woche auferstanden ist.

 

Aber - wie auch immer - der Sonntag ist in Gefahr. Er wird schleichend ausgehöhlt. Liberalisierungen im Handel, neue Produktions- und Dienstleistungsformen und vieles mehr erzeugen Druck auf die Jahrhunderte alte Kultur der Ruhezeit am Sonntag. Nicht, dass den Menschen das Ruhe- und Erholungsbedürfnis generell abgesprochen werden würde, aber das - so wird argumentiert - könne man ja auch an anderen Tagen und zu anderen Zeiten in Anspruch nehmen als dem Sonntag.

Zugegeben, es gibt eine Reihe von Berufen, bei denen auch sonntags gearbeitet werden muss. Das kann aber nicht bedeuten, dass der Sonntag für alle als Arbeitstag zur Disposition steht. Fixe Ruhezeiten besitzen einen gesellschaftlichen Wert als Rhythmusgeber und als gemeinsame Atempause für unser aller Lebensqualität. Diese Lebensqualität braucht gemeinsame Freizeit möglichst vieler Menschen. Es wäre eine traurige Entwicklung, wenn Freunde und Familien erst dann einander begegnen können, wenn sie ihre gemeinsamen freien Tage mit der jeweiligen Dienststelle ausgehandelt haben. Das Besondere darf nicht im Alltag untergehen. Gemeinsame Feste und Feiern - auch religiöse, auch der Gottesdienst - brauchen einen verlässlichen Raum. Auch Gemeinden, Vereine, Kultur und demokratische Initiativen leben von dieser gemeinsamen freien Zeit.

 

Um dieses Anliegen verstärkt im Bewusstsein zu rufen, hat sich in diesem Jahr eine „Allianz für den freien Sonntag“ gebildet. Sie möchte den unabdingbaren Wert der gesellschaftlichen Atempausen für unsere Lebensqualität aufgreifen und zum Schutz des Sonntags aufrufen.

 

Das Ziel kann nicht sein, immer schneller zu leben. Das Leben mit seinen vielfältigen Belastungen, mit seiner Hektik und seinen zunehmenden Stresssituationen kann nur dann bewältigt werden, wenn es Möglichkeiten der Verlangsamung, der Entschleunigung, des zur-Ruhe-Kommens gibt. Es muss verlässliche Grenzen geben zwischen fremdbestimmter Zeit einerseits und selbstbestimmter Frei-Zeit andererseits. Diese Freizeit hat immer auch eine soziale Komponente. Ich verbringe sie nicht allein für mich, sondern lasse andere an ihr teilnehmen. Ein gemeinsam gestaltetes Mittagessen, das unter der Woche nicht möglich ist, schafft Raum für gemeinsame Gespräche und den Austausch des Erlebten.

 

Man kann das Sabbatgebot der Bibel als älteste Sozialgesetzgebung verstehen. Inmitten einer Welt, in der jeder Tag gleich ist, wird im jüdischen Volk ein Tag als Ruhetag herausgehoben. Christen haben, auch wenn sie den Tag verändert haben, an diesem Prinzip festgehalten: es muss einen Tag geben, an dem ich zu mir selbst kommen kann, an dem ich Zeit habe für meine Familie und Freunde. Es ist eine gefährliche Entwicklung, wenn Menschen mit ihrer Erwerbsarbeit rund um die Uhr verfügbar gemacht werden, jederzeit einsetzbar. Dann bleibt nicht nur der Sonntag, sondern auch das Mensch-Sein des Menschen auf der Strecke.

 

Es hat darum auch heute seine Bedeutung, wenn es in der Bibel heißt:

 

„Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn.“ (Exodus 20,8-11)