Das Evangelische Wort

Sonntag, 26. 05. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

 

Pfr. Wolfgang Olschbaur, Bregenz

 

"Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz." Matthäus 6,21

"Das ist dein Gott, woran du dein Herz hängst." Martin Luther

 

 

Gott ist rund. So lautet das Glaubensbekenntnis der Fußballfreunde.

Sie kommen jetzt bald wieder auf ihre Rechnung. Ab Freitag ist Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea. Da sitzen sie dann wieder vor den Fernsehapparaten bis ihre Augen quadratisch geworden sind und schauen den zweiundzwanzig Spielern zu, wie sie einem einzigen Ball nachlaufen.

Hat Fußball etwas mit Gott zu tun? Wenn ich die Leidenschaft beobachte und die Visionen, die damit verknüpft sind, wenn ich Freundschaft sehe und Solidarität, die betenden Kämpfer vor dem Spiel, und wie sich Sieger und Verlierer nach dem Schlusspfiff wieder versöhnen, wenn ich das beobachte, dann komme ich zu dem Schluss: Fußball ist wie Religion.

Und das Stadion ist der Tempel.

Da ist Leidenschaft im Spiel. Neunzig Minuten - und alle Tragik der Welt, Trauer, Freude, Glücksgefühl, Wut und Euphorie, das alles ereignet sich zwischen An- und Abpfiff.

Fußball ist intensiv, lässt einen sich selbst vergessen, hat mitunter ekstatische Züge und ist vergleichbar mit den Ereignissen zu Pfingsten. Fußball hat eine theologische Dimension!

Fußball und Religion entwerfen Bilder von einem besseren Menschsein.

Beim Fußball sind die Spielregeln einfach und einsichtig. Sie müssen eingehalten werden. Fouls werden bestraft. Es geht um Gerechtigkeit, um Fairplay. Dafür steht ein Schiedsrichter.

Jeder weiß - und zwar auf der ganzen Welt - was beim Fußball zu tun ist und was zu lassen. Fußballspielen kann man auch mit Leuten, deren Sprache man nicht einmal versteht. Deshalb ist Fußball universal, ökumenisch und völkerverbindend.

Das Spiel lehrt auch, sich zu begrenzen. Denn der Ball darf nur mit den Füssen und mit dem Kopf berührt werden. Nicht aber mit den Händen. Keiner muss über alles verfügen. Es gibt Menschen und Umstände, die meinem Zugriff und Einfluss entzogen sind.

"Das Stadion ist der Ort höchster Freiheit", meint Ivica Osim, der Fußballprofessor aus Sarajevo und Trainer von Sturm-Graz. Fußballstadien sind für ihn so etwas wie moderne Kirchen. "Da zählt weder Einkommen, Herkunft noch die soziale Stellung... Frustrierte sitzen neben Euphorikern, Seidenkrawatten neben Polyesterhemden, Frauen neben Männern."

Fußball ist klassenlos. Es braucht keine materiellen oder gesellschaftlichen Voraussetzungen. Zugang hat ein jeder. Wer will, kann auch mit einer Blechdose im Hinterhof spielen. Oder auf einer Wiese mit zwei Baumästen als Tor.

Fußball ist auch Spiegel der Gesellschaft: Da spielen Geld und Macht eine Rolle, Gewinn und Eitelkeit. Rassismus herrscht auch auf grünem Rasen! Gewalt bricht aus in allen Stadien. Und es wird getrickst, gelogen und betrogen. Fußball ist immer auch ein Gleichnis für die Welt.

Trotzdem: Fußball nährt die Hoffnung auf Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit. Nichts anderes ist auch die Hoffnung der Christen.

Ob Gott rund ist? Ich weiß es nicht. Ich spiele nicht Fußball.

Und zum Fernsehen komme ich auch nicht. Aber vom Umgang mit dem runden Leder will ich gerne lernen. - Und dann genau prüfen, woran ich schließlich mein Herz hänge.

"Das ist dein Gott, woran du dein Herz hängst." Martin Luther

 

Literatur:

- Ivica Osim. Das Spiel des Lebens, Wien- Frankfurt/M - Graz 2001

- Stefan Schennach, Ernst Draxel. Ivica Osim, Die Welt ist alles, was der Ball ist, Klagenfurt 2002

- Kirchenbote für den Kanton Zürich Nr. 14/ 2000

- Evangelischer Erwachsenenkatechismus, 6.Auflage, Gütersloh 2000