Das Evangelische Wort

Sonntag, 23. 06. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

 

von Pfarrer Michael Chalupka

 

Morgen und übermorgen tagt der Konvent. Der Konvent tagt weit weg, in Brüssel. Weit weg von Wien und deshalb hierorts auch wenig wahrgenommen, wird über die Zukunft Europas entschieden, über unser aller Zukunft. Morgen und Übermorgen treffen die Delegierten mit Vertreterinnen der Zivilgesellschaft zusammen, mit den Repräsentanten der Nicht- Regierungsorganisationen, die zwar keine politischen Funktionen innehaben, die keinen großen wirtschaftlich potenten Konzernen vorstehen, ohne die aber vieles nicht funktionieren würde in unserem Europa. Um die soziale Versorgung, um den Umweltschutz und viele kulturelle Bereiche wäre es ohne die vielen Vereine und Initiativen mit vielen freiwilligen Helfern, die neben den staatlichen Strukturen wirken schlecht bestellt.

 

Die Kirchen und Ihre Verbände, Caritas und Diakonie gehören auch zur Bürgergesellschaft, ohne die Europa ein völliges anderes Gesicht haben würde. Deshalb haben sie sich an den Konvent gewannt, um neben der wirtschaftlichen Vereinigung Europas auch ein soziales Europa einzufordern.

 

Die Rolle der Kirchen sollte beim Bau des neuen Hauses Europa nicht gering geschätzt werden. Denn wir versammelten uns noch vor Wotans Eiche, wäre dem Apostel Paulus im Traum nicht ein Mann erschienen, der um Hilfe für Europa bat.

 

„Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns.“ (Apg. 16,9)

 

Da machte sich Paulus aus Kleinasien auf, um auch den Heiden jenseits des Bosporus das Evangelium zu verkünden. Es ist heilsam in Zeiten, in denen wir Europa für den Nabel der Welt halten, zu wissen, dass unsere Wurzeln in Kleinasien liegen, dass das Heil nicht von Brüssel, Paris oder Wien ausging, sondern von Jerusalem.

 

Europa brachte Paulus aber keine Freude. So steht’s geschrieben.

 

„Es geschah aber, als wir zum Gebet gingen, da begegnete uns eine Magd, die hatte einen Wahrsagegeist und brachte ihren Herren viel Gewinn ein mit ihrem Wahrsagen. Die folgte Paulus und uns überall hin und schrie: Diese Menschen sind Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils verkündigen. Das tat sie viele Tage lang. Paulus war darüber so aufgebracht, dass er sich umwandte und zu dem Geist sprach: Ich gebiete dir im Namen Jesu Christi, dass du von ihr ausfährst. Und er fuhr aus zu derselben Stunde. Als aber ihre Herren sahen, dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war, ergriffen sie Paulus und Silas, schleppten sie auf den Markt vor die Oberen und führten sie den Stadtrichtern vor 

 

Er trieb einer Wahrsagerin den Geist, der sie besessen hielt, aus. Befreit vom üblen Geist, konnte sie nun nicht mehr wahrsagen. Damit war sie für die Geschäftsmänner der Stadt Philippi unbrauchbar geworden. „Als aber die Herren sahen, dass damit ihre Hoffnung auf Gewinn ausgefahren war, ergriffen sie Paulus und schleppten“ ihn vors Gericht. So begann Paulus seinen Europaaufenthalt im Gefängnis, wegen geschäftsschädigenden Verhaltens.

 

Es ist Paulus natürlich nicht gelungen den Geist des Gewinns aus Europa auszutreiben. Aber was ihm, mit unserer Hilfe, gelingen sollte ist den Geist des Teilens der Gewinne in die Herzen und Hirne von uns Europäern, Franzosen, Deutschen und Österreichern einzupflanzen. Wir können auf unseren Inseln des Wohlstands nicht so tun, als ob uns die Armut rund herum nichts anginge. Sonst hätten wir Europäer, wir Christen in Europa, nichts gelernt, seit wir den Apostel Paulus ins Gefängnis gesteckt haben.