Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 08. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

 

von Pfr. Jürgen Öllinger, Villach

 

 

„Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Liebe ist die größte unter ihnen.“ (1. Kor. 13,13)

 

Freiheit ist das schönste Geschenk für die Ferien. Frei von Verantwortung, frei vom Druck oder Zwang, frei von Mitarbeitern oder Vorgesetzten. Endlich unbelastet sein von den vielen Dingen des Alltags! Ein herrliches Gefühl. Jung und alt freuen sich darüber, dass sie Freiheit genießen können.

 

Bei alle der Unabhängigkeit, die wir in und durch unsere Gesellschaft nützen können, stellt sich eine Frage: Wofür nütze ich meine Freiheit? Für mich, für andere, für meine Seele, ...?

 

Liebe ist die letzte Freiheit in unserer Welt, heißt es. Jeder Mensch, der zu einem anderen schon einmal gesagt hat: Ich liebe dich!, weiß wie viel Mut und Selbstbestimmung in diesem kleinen Satz steckt. Ich befreie mich von meinen Ängsten und sage: Ich liebe dich! Ich mache mich frei von anderen Menschen und sage: Ich liebe dich! Natürlich ist diese Freiheit riskant.

Gott hat sich die Freiheit genommen, den Menschen zu sagen: ich liebe dich! Die Reaktionen darauf sind so unterschiedlich wie menschlich.

 

Manche lachen Gott aus. Mich lieben? Manche schütteln den Kopf, weil sie enttäuscht sind von Gott. Andere werden wütend, weil sie von dieser Liebe wenig sehen und spüren.

 

Die Freiheit Gottes, den Menschen zu sagen: ich liebe dich!, ist aber auch wohltuend und fördert das Leben. Wer diesen Satz schon lange nicht mehr gehört oder gespürt hat, weiß, wie verstrickt man wird von der Einsamkeit und vom Elend der Welt.

 

In einem unserer evangelischen Religionsbücher gibt es eine Geschichte von einer Spinne. Die Spinne macht sich Tag für Tag daran, schöne Netze zu spinnen. Eines Morgens findet sie einen idealen Platz für ihr Kunstwerk. Sie arbeitet und am Ende betrachtet sie das Netz uns stellt fest, dass etwas daran nicht stimmt.

 

Ein Faden, der nach oben führt, stört ihr wunderschönes Kunstwerk. Kurzerhand krabbelt sie nach oben und zwickt den Faden ab. Es ist der Ausgangspunkt ihrer Arbeit. Es ist der erste Faden. Als sie ihn abzwickt, wird das Spinnennetz zerstört, sie verfängt sich, kann sich nicht mehr befreien und stirbt.

 

Dieser „Faden nach oben“, die Liebe, ist der erste Faden unseres Lebens. Wenn wir Liebe erleben, kann das Kunstwerk unseres Lebens gelingen.

 

Wenn Eltern ihre Kinder nicht mehr lieben, verfängt sich das Leben. Wenn Kinder ihre Eltern nicht mehr lieben, wird vieles zerstört. Wenn der erste Faden nach oben, zu Gott hin fehlt, verwirrt uns die Freiheit der Welt.

 

Es gibt Menschen, die den Faden nach oben durchschneiden. Sie scheiden den Faden zu Gott durch und wundern sich, wenn dadurch etwas passiert. Denn eines ist immer deutlich gewesen: Jeder Mensch entscheidet selbst über seinen Glauben an Jesus Nazareth. Jeder kann ihn ablehnen oder annehmen. Jeder kann Gott verwerfen. Aber das tut etwas mit mir. Das verändert meine seelische Befindlichkeit.

 

Die Unabhängigkeit meiner freien Tage kann ich nutzen, um diesen ersten Faden wieder zu suchen. Ich mache mich frei, um mir darüber klar werden, wozu ich mich die Liebe Gottes befreit: für ein erfülltes Leben mit Menschen, in meiner Welt und mit dem lieben Gott.