Das Evangelische Wort

Sonntag, 11. 08. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

von Pfr. Dr. Klaus Heine (Mödling, NÖ)

 

 

Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben.

(Markusevang. 10 v. 45)

 

Kaum eine Woche vergeht, ohne dass von einem Selbstmordattentat in Israel berichtet wird. Junge Palästinenser und Palästinenserinnen sprengen sich in die Luft und reißen andere Menschen, Männer, Frauen und Kinder mit in den Tod. Es gibt eigentlich in Israel keinen Ort mehr, an dem man sich sicher fühlen könnte. Selbstmord als Waffe: Damit gewinnt der Terror eine besondere Dimension. Er wird mit dem Opfer des eigenen Lebens bezahlt.

 

Selbstmord als gesellschaftliche Demonstration und politische Waffe kannten wir bisher anders, eben nicht als terroristische Aktion. Ältere Menschen haben noch die aufrüttelnden Bilder vor Augen, als sich auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges buddhistische Mönche auf öffentlichen Plätzen mit Benzin übergossen und selbst verbrannten als Fanal gegen die Gräuel des Krieges. Aber auch in Europa gab es die Selbstverbrennung des tschechischen Studenten Jan Palach und des ostdeutschen Pfarrers Brüsewitz als Protest gegen die Unterdrückung zu Zeiten des Kommunismus. Wie ein Aufschrei waren diese Taten als Appell an das moralische Gewissen möglichst vieler Menschen gerichtet, damit unhaltbaren Zuständen ein Ende gemacht und eine menschlichere Zukunft eröffnet wird.

 

Der Menschensohn ist gekommen, um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben: Gehört etwa Jesu Tod auch in diese Reihe demonstrativer Selbsttötung? Es gehört doch zu den zentralen Inhalten des christlichen Glaubensbekenntnis, dass wir Menschen durch den Tod Jesu aus der würdigen Macht der Sünde befreit nun eine hoffnungsvolle Zukunft haben, weil uns der Weg zu Gott immer offen steht?

 

Das verlesene Bibelwerk aus dem Munde Jesu richtet sich als abschließende Antwort an seine Jünger. Sie hatten nämlich untereinander gestritten, wer denn die besten und einflussreichsten Plätze an der Seite einnehmen sollte, wenn die kommende Gottesherrschaft Realität sein würde. Jesus erinnert sie an den anderen Geist, der bei ihm bestimmend ist. Er selbst, der doch in der Autorität Gottes unter ihnen wirkt, begegnet nicht als Herrscher üblicher Art. Er lebt im Dienst. Die Autorität, die er ausübt, steht im Dienst des Dienens. Die Rücknahme und Preisgabe von Machansprüchen üblicher Art ermöglicht die befreiende und heilende Begegnung Jesu mit den Menschen. Wer unter den Zwängen der Welt seufzt, muss sich vor ihm nicht fürchten, sondern darf aufatmen. In der Gottesherrschaft, die Jesus mit Wort und Tat heraufführt, gelten nicht mehr die Gesetze von Macht und Ohnmacht, das ewige Gerangel um die Sonnenplätze, Triumph der Sieger und Elend der Verlierer. Da wird schon etwas spürbar, wie sich Gerechtigkeit und Frieden in der Gemeinschaft von Menschenbrüdern und- Schwestern realisieren, die durch Dienstordnung der Liebe bestimmt wird.

 

Jesus war der positiven Aufgabe verpflichtet, diese Gottesherrschaft in die Welt zu bringen. Sein Tod war weder eine demonstrative Selbsttötung und schon gar nicht eine Waffe des Terrors. Sein Tod stand in der Konsequenz seines göttlichen Liebesdienstes. Eher wollte er selber sterben, als anderen Gewalt zuzufügen. Die Schrecklichkeit seines Kreuztodes stellt freilich immer neu eine Anfechtung dar. Ist am Ende die Engelsgestalt der Gottesherrschaft, die auf die tiefe Sehnsucht der Menschen nach erfülltem Leben antwortet, doch nur eine schöne, aber hilflose Utopie?

 

Die Ratlosigkeit der Freunde Jesu wurde durch die überwältigende Erfahrung des Auferstandenen überwunden. Nun begriffen sie, dass die schöpferisch dienende Liebe Gottes die Welt im Innersten zusammenhält. Ich wünsche mir, dass wir in den kleinen und großen Konflikten unserer Welt von diesem Geist beseelt werden und lernen, damit die Selbsttötungen aufhören können, und wir Wege zum Frieden finden.