Das Evangelische Wort

Sonntag, 25. 08. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr,

 

 

 

von Pfarrerin Mag. Christine Hubka

Pauluskirche, Wien

 

 

Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?

 

Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst! (Lk 6, 42)

 

Ich versuche mir dieses Bild aus dem Lukasevangelium vorzustellen:

Zwei Menschen stehen einander gegenüber. Der eine hat im seinem rechten Aug einen Balken, groß und dick wie eine Eisenbahnschwelle. Der andere hat einen Zahnstocher im linken Aug. Aug in Aug stehen sie da. Der mit der Eisenbahnschwelle greift nach dem Zahnstocher im Auge seines Gegenübers und zieht mit aller Kraft daran.

 

Jesus hat uns mit diesem Bild eine kleine feine Karikatur geschenkt.

Karikatur heißt Verzerrung der Wirklichkeit.

 

Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Leute – wie Jesus das erzählt hat - mit ernster Miene zugehört haben. Wie Augenärzte bei einem Kongress.

 

Geschmunzelt werden sie haben!

 

So wie ich lachen muss, wenn ich diese Geschichte höre.

Ich lache wie die Leute damals, weil mir sofort jemand einfällt, auf den diese Karikatur passt. Aber manchmal bleibt mein Lachen stecken. Dann muss ich daran denken, dass es der Anfang eines Krieges sein kann wenn ein Land dem anderen den Splitter aus dem Aug zieht.

 

Jesus hat sich noch andere Karikaturen ausgedacht.

Diese zum Beispiel, die auch im Lukasevangelium steht:

 

Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen?

Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?

Und wieder stell ich mir vor, dass die Leute beim Zuhören gelacht haben. Niemand hat Jesus beim Blindenverband angezeigt, weil er so unmögliche Witze macht. Denn er spottet ja nicht über eine Behinderung, sondern über die Borniertheit gewisser Leute.

 

Karikatur heißt Verzerrung der Wirklichkeit.

 

Jesus, der Meister der Karikatur, ist später selbst zum Ziel von Karikaturen geworden. Die älteste stammt aus dem frühen 4. Jahrhundert. Das sogenannte Spottkreuz zeigt den Gekreuzigten mit einem Eselskopf. Darunter steht ein Mensch in anbetender Haltung. Daneben ist der Text gekritzelt:

Alexamenos betet zu Gott.

 

Im Klartext meint diese Wandkritzelei aus einer römischen Pagenschule:

Wer einen gekreuzigten Esel anbetet, ist selbst ein Esel. Diese kleine Bild wird als Kostbarkeit im Museum auf dem Palatin aufbewahrt.

 

Karikatur heißt Verzerrung der Wirklichkeit.

 

Alles, was wir über Gott sagen, ist eine Verzerrung. Es wird ganz von selbst sofort zur Karikatur: ob ein Religionslehrer in der Volksschule eine biblische Geschichte erzählt, ob ein Bischof oder eine Bischöfin predigt oder ein Universitätsprofessor ein theologisches Buch schreibt. Alles muss Karikatur sein – eine Verzerrung der Wirklichkeit Gottes. Was immer ich über Gott sage oder denke – die Wirklichkeit Gottes ist immer ganz anders.

 

Manche ehrwürdigen Bilder oder Kirchenfenster, die biblische Geschichten abbilden, sind schlimmer als jede moderne Karikatur:

Ich meine die, wo Jesus blond und blauäugig dargestellt wird. Seine Landsleute, die Juden, jedoch ganz miese Visagen haben.

Unerträglicher als jede Karikatur, die mit spitzer Feder gezeichnet ist, ist es für mich, wenn Jesus, der gestritten und geweint hat, lieblich und süßlich dargestellt wird. Egal ob das mit Worten oder mit Bildern oder mit Liedern geschieht.

Unerträglicher als jede Karikatur ist es für mich, wenn Jesus, der ein so lebendiges Bild des lebendigen Gottes ist, abgehoben und weggerückt dargestellt wird, als hätte er sich sein Lebtag die Hände nicht schmutzig gemacht.

 

Wenn ich in Kinderbüchern oder Kirchen solche Bilder sehe, verstehe ich, warum in der Bibel steht:

Du sollst Dir kein Bildnis machen.