Das Evangelische Wort

Sonntag, 08. 09. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfarrer Lutz Lehmann

 

Alles ist mir erlaubt,

aber nicht alles dient zum Guten.

Alles ist mir erlaubt,

aber es soll mich nichts gefangen nehmen.

(1.Korintherbrief, Kapitel 6, Vers 12)

 

„Eingang verboten

Ausgang verboten

Durchgang verboten„

 

So beginnt Kurt Tucholsky im Jahr 1927 seine Anleitung „Deutsch für Amerikaner„

Und so geht das dann auch weiter und man kann sich bald sehr gut vorstellen, wie Tucholsky damals sein Deutschland erlebt hat.

 

Nur damals? Nur Deutschland?

Geht es Ihnen nicht auch manchmal so, dass es einem schon ganz komisch vorkommt, einmal kein Verbotsschild zu sehen, keine Anweisung zu bekommen, wie man sich zu verhalten habe?

 

Eingang verboten

Ausgang verboten

Durchgang verboten

 

Das gibt doch auch eine gewisse Sicherheit:

Wenn ich alles so mache, wie man‘s mir sagt, dann mach ich‘s doch richtig und dann hat keiner was auszusetzen an mir und das ist doch gut.

 

Allerdings: je mehr Regelungen und Einschränkungen es gibt und je unsinniger mir die vorkommen, desto stärker beginnt sich der Widerstand zu regen in mir und desto eifriger beginne ich danach zu suchen, ob ich nicht doch irgendwo etwas anderes tun könnte als erlaubt - natürlich nur, wenn‘s keiner merkt.

 

Ganz im Stillen wird dann klar, dass all die Anordnungen, Erlässe und Maßregeln letztlich zum Gegenteil des Beabsichtigten führen: man beginnt nach Schlupflöchern zu suchen und freut sich dann im Stillen, wenn es einem wieder einmal gelungen ist, eine Vorschrift ganz elegant zu umgehen.

Was mit den Kavaliersdelikten beginnt führt dahin, dass ich im Grunde all diese Regeln nicht mehr ernstnehme, dass sie mir alle nur noch als Gängelei erscheinen - alles von oben, von außen - alles nicht meins.

 

Eingang verboten

Ausgang verboten

Durchgang verboten?

 

Dass ich nicht lache!

Jetzt erst recht!

 

Paulus setzt ganz anders an mit seiner Argumentation.

 Alles ist mir erlaubt.

 Das ist eine Freiheit wie ein großer Luftzug, der meine Lunge füllt. Das lässt mich aufwachen und um mich schauen und fragen: Was ist denn das: Alles?

 Und dann beginne ich weiterzuschauen und weiterzufragen und dann beginne ich , selber zu überlegen, was denn hier richtig ist und was nicht, was denn Sinn macht von den Regeln, die mir begegnen und welche ich denn selber herausgefunden habe, erfahren, erlebt und als hilfreich für mich und für andere erkannt.

Manches stellt sich ja dann als sinnvoll und brauchbar heraus, manches sogar als notwendig - aber es ist doch ganz etwas anderes, wenn ich das selber erkenne, als wenn mir das ein anderer aufzwingt.

 

Alles ist mir erlaubt,

 aber nicht alles dient zum Guten

 Mit dem Satz im Ohr kann ich auch anderen zuhören, wenn sie mir ihre Erfahrungen erzählen, kann versuchen zu verstehen, wenn mir Menschen berichten, die ganz anders denken und leben als ich.

 

Alles ist mir erlaubt.

Letztlich ist dieser Satz des Paulus nur eine Konsequenz aus der Regel, die sein großes Vorbild Jesus ihm als wichtigstes Gebot unter Menschen mitgegeben hat: „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst!„

Liebenden ist alles erlaubt. Aber sie tun längst nicht alles - aus Rücksicht, aus Einsicht - eben aus Liebe.

 Man könnte auch sagen: weil es sehr viel schöner für mich selbst ist, wenn es dem anderen gut geht.

 Manche der großen Regeln werden mich - als Liebenden - nur noch ein müdes Lächeln kosten und ich werde mich locker darüber hinwegsetzen - nicht nur, wenn keiner hinschaut.

 

Manche Gesetze werden mich zornig machen, und ich werde alles tun, dass sie fallen - nicht nur für mich, sondern für alle, die unter ihnen leiden.

Manches werde ich ernster nehmen als andere, weil ich überzeugt davon bin, dass es stimmt. Und manches Gebot werde ich neu erfinden, nur für mich, aus Achtung vor mir selbst.

Vielleicht geht es Ihnen ja auch so, wenn Sie noch ein wenig drüber nachdenken. So wie der Bischof Augustinus im 4. Jahrhundert, für den sich am Ende ein ganz kurzer Satz als wichtigste Lebensregel herausgestellt hat: Liebe - und dann tu, was du willst.