Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 09. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfarrer Mag. Gerold Lehner

Rektor des Evangelischen Predigerseminars

 in Purkersdorf, NÖ

Die Wolkenkratzer ragen in die Höhe, die Uno-City steht monumental vor mir. Bauarbeiten sind in der Nähe im Gange, Menschen sind unterwegs in der Donaucity. Vor mit steht ein kleines, dunkles, gedrungen und massiv wirkendes Gebäude. Ein weißes Kreuz zeigt mir, es ist eine Kirche. Ich öffne die Tür, gehe hinein, - und betrete eine andere Welt. Ein Raum tut sich auf. Ein Raum mit viel Licht, mit der Wärme des hellen Holzes. Durch die Erkerfenster der Kirche sehe ich die Hochhäuser ragen: und ich habe das Gefühl: ich bin in der Welt, aber nicht von der Welt, ich betrete ein Stück Himmel auf Erden.

 

"Einige Pharisäer fragten Jesus, wann die Herrschaft Gottes anbrechen werde.

Jesus antwortete: ihr dürft nicht nach Vorzeichen ausschauen und an allen möglichen Orten nach ihr suchen! Denn schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!" (Lukas 17, 20f)

 

Manchmal begegne ich Menschen, die ich nicht kenne, die mir fremd sind, im Supermarkt, in der Straßenbahn, auf der Straße. Wir gehen aufeinander zu, wollen einander ausweichen, gehen beide in dieselbe Richtung, - merken das, und beginnen zu lächeln. Kein irritierter oder ärgerlicher Blick, kein halblautes Gemurmel von wegen "können sie nicht besser aufpassen", - ein Lächeln für einen Moment. Und trotzdem habe ich etwas empfunden. Ein kleines Glück, ein kleines Lächeln, das mich ganz erreicht hat, das mich warm macht.

Ein Freund geht ins Krankenhaus um einen Besuch zu machen, und seine kleine Tochter will unbedingt einmal mitgehen. Es ist ihm zwar nicht so recht, aber sie lässt sich nicht abweisen und so geht sie eben mit. Unterwegs pflückt sie am Straßenrand einen Zweig von einem Strauch, weil er ihr gefällt. Im Krankenhaus besuchen sie einen alten Mann. Schon auf den ersten Blick ist die Verbitterung zu erkennen, wie er da in sich gekehrt sitzt . Und ohne dass mein Freund mit seiner Tochter geredet hätte, geht diese hin zu dem alten Mann und gibt ihm den Zweig. Der schaut auf, - und für einige Momente ist es als ob der Schleier der Verbitterung von seinem Gesicht gezogen wird, bekommen die Augen Glanz.

 

"Einige Pharisäer fragten Jesus, wann die Herrschaft Gottes anbrechen werde.

Jesus antwortete: ihr dürft nicht nach Vorzeichen ausschauen und an allen möglichen Orten nach ihr suchen! Denn schon jetzt, mitten unter euch, richtet Gott seine Herrschaft auf!" (Lukas 17, 20f)

 

Für mich haben die Dinge, die ich da erlebt habe unterschiedliche Qualität, aber sie haben alle etwas damit zu tun, dass hier ein Anklang von Gottes neuer Welt, von seiner Herrschaft spürbar und erfahrbar wird.

Ich muss mir das immer wieder sagen und bewusst machen, weil es mir oft so geht wie den Pharisäern in der Begegnung mit Jesus: Sie fragen: wann wird die Herrschaft Gottes anbrechen? Ich frage: wo ist denn die ideale christliche Gemeinde in der etwas spürbar wird von der neuen Welt Gottes? - Und Jesus sagt: schau hin: mitten in deinem Leben geschieht es, dass Gott sein Reich baut. Die Pharisäer stehen vor Jesus. Die Frommen Leute, haben den Anbruch der Herrschaft Gottes direkt vor ihrer Nase, - und tun sich schwer damit sie zu erkennen. Und ich? Ich muss auch hinschauen und es mir sagen lassen, dass es sich abspielt: vor meiner Nase, dann sehe ich es immer wieder einmal, aufblitzen. In der Hilfe, die nicht fragt, was es kostet, ob es lohnt,...

Und ich merke, wie ich hineinverwickelt werde. Denn das Lächeln ist ansteckend und wo mir geholfen wurde, helfe ich auch, und auf einmal zieht diese neue Welt Kreise, und ich bin mitten drin.