Das Evangelische Wort

Sonntag, 13. 10. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Mag. Barbara Knittel (Feldkirch, Vlbg.)

 

"Mir sollte nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, dazu noch viele Tiere?!" (Jona 4/11).

Im Sommer vor einem Jahr habe ich in Bolivien zwei Freundinnen besucht und dabei erlebt, wie von der anderen Seite der Erde her sich der Blickwinkel vom eigenen zu Hause sehr verändern kann. Ich bin dort Menschen begegnet, die sich für mich als Europäerin wenig interessiert haben. Für die habe ich zu denen gehört, die aus der Schutzfestung Europa kommen. In ihren Augen ein Europa, das sich großräumig abschirmt, um ungestörter den eigenen Wohlstand zu pflegen. Von Bolivien aus gibt es in der Welt zwei Schutzfestungen, USA und Europa, und vor allem die Armen dort fühlen sich bedroht und abhängig von diesen Wirtschaftsmächten. Ich habe dort besser begriffen, was es heißt, außerhalb dieser zwei geschützten Machtgebiete zu leben und von diesen abhängig zu sein.

Seither weiß ich auch, wie dieses Leben mitten in Europa, in relativer Sicherheit und guter Versorgung, den eigenen Blickwinkel trübt. Wie es von hier aus gar nicht leicht ist, sich wirklich einzufühlen und sich in die vielen hinein zu denken, die außerhalb und ungeschützt von diesen Machtblöcken leben. Zur Zeit sind es die vielen Menschen im Irak, die mich sehr beschäftigen. Von denen berichten zur Zeit keine Medien, aber von einem möglichen Krieg sind sie am meisten bedroht.

Wenn ich trotz meiner begrenzten Sichtweise mich in diese Menschen hineinversetzte, dann erfasst auch mich Angst und Zorn und meinen Freunden geht es ähnlich. Es passiert dann immer wieder, dass wir miteinander Dampf ablassen, und auf Präsident Bush, die amerikanische Politik, und auch auf Saddam Hussein schimpfen, aber eigentlich geschieht das meist im selben pamphletartigen Ton und in der Weise, in der die Argumente für den Krieg auch formuliert werden.

Der Blickwinkel, und die Sprache, die ich immer wieder erlernen möchte, beinhaltet nicht nur das 'für und gegen', sondern ein Drittes, ganz anderes. Und dazu möchte ich eine alte biblische Geschichte aufnehmen, wo von dem Propheten Jona erzählt wird: Er wurde nach Ninive geschickt, einer Stadt, gar nicht so weit weg von Bagdad. Heute würde man auch Ninive eine Schurkenstadt nennen. Er hatte den Auftrag Gottes, in die Stadt hinein zu gehen und zu rufen: "Noch 40 Tage, und Ninive wird untergehen". Wenn ich schon vorher vom getrübten Blickwinkel geredet habe, was muss das für ein getrübter Blickwinkel gewesen sein, den Auftrag Gott in die Schuhe zu schieben! Aber so war das, und so ist das bis heute, Gottes Wille und Gottes Auftrag wird als Argument benützt, um Kriege zu führen. In der Geschichte von Jona passiert aber gerade dieses Dritte. Da wird erzählt - es reute die Menschen und es reute Gott, das, was sie sich gegenseitig angetan haben und antun wollten. Ein merkwürdiger Wesenszug Gottes scheint da auf. Reue, - ein Gott der sich ändert. Nimmt man das ernst, dann kommen ganz viele Gottesbilder ins Wackeln. Aber das passiert, wenn dieses sog. Dritte aufscheint. Von Jona wird erzählt, dass er trotzig wird, weil er einen rachsüchtigen Mitspieler verloren hat. Von Gott wird erzählt, dass es ihn jammert um die vielen Menschen und Tiere, die in Gefahr sind, umzukommen. Göttlicher Jammer und menschlicher Jammer um so viele Menschen und Tiere! Tut sich da nicht eine Verwandtschaft zwischen Gott und Mensch auf, wenn das passiert?

Wenn doch dieser Jammer Gottes sich in den Menschen breit machen würde, mit Sätzen, wie diesen!

"Mir sollte nicht leid sein um Ninive, um Bagdad, die große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, dazu noch viele Tiere ?!" (Jona 4/11).