Das Evangelische Wort

Sonntag, 20. 10. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

Sie müssen es tun, es geht nicht anders.

 

Das ist die einfache Antwort auf die Frage, die außerhalb und innerhalb der evangelischen Kirche immer wieder gestellt wird: Warum legt sich die Kirche so oft quer, wenn es um die Bewältigung wichtiger Probleme in der Gesellschaft geht? Warum sagen Vertreterinnen und Vertreter der Kirche oder von Organisationen, die der Kirche nahe stehen, so oft nein, wenn etwa die Politik Lösungen anbietet, die jedem Menschen, der sich als „normal versteht“, einleuchten?

 

Zum Beispiel bei der Bekämpfung des Terrorismus: Warum soll man gegen „das Böse" nicht schonungslos vorgehen, eventuell auch mit Krieg? Zum Beispiel bei der Frage der Kulturen: Warum soll man eine fremde Religion, wie den Islam, nicht aus unserer Gesellschaft fernhalten, sie ausgrenzen, sie mundtot machen? Zum Beispiel in der Flüchtlingsfrage: Warum soll man solche Hergelaufenen nicht einfach zurückschicken?

 

Immer haben hier die Kirchen Einwände, sind dagegen, wollen, dass es anders gemacht wird: Der Bischof oder Oberkirchenrat gibt zu Bedenken, die Diakonie protestiert und der Pfarrer bei der Sonntagspredigt ist derselben Meinung.

 

Noch einmal: Sie müssen es tun. Und zwar nicht deshalb, weil sie hoffnungslose Phantasten wären, wie es neuerdings auch solche Politiker laut behaupten, die sich selbst als christlich verstehen. Nicht darum, weil Kirche "im luftleeren Raum schwebt", wie ich kürzlich ein in Ehren ergrautes Kirchenmitglied sagen hörte. Und auch nicht darum, weil sie streitlustig sind und es ihnen selbst zu gut geht, in unserem Land, wie einige meinen.

 

Sie müssen nein sagen, weil sie Gründe haben, die sie dazu zwingen. Nur ganz selten erhebt die Kirche ihren Protest ohne Begründung. Und es lohnt sich, auf diese Begründung zu hören. Die hat es nämlich in sich.

 

Die Begründung, die für die evangelische Kirche gilt, wird am 31. Oktober, förmlich „gefeiert". Das „Reformationsfest" ist kein Heldengedenktag an Martin Luther. Es ist die Erinnerung daran, woran dieser Theologieprofessor die Welt deutlich erinnern wollte: Gott sagt zum Menschen: „Ich nehme dich an. Und zwar ohne jedes Wenn und Aber, ohne jede Bedingung. Denn du bist mein Ebenbild."

 

Das ist nicht irgend ein frommer Spruch, das hat ganz konkrete Folgen. Die lauten: Der Mensch ist auch vom Menschen anzunehmen, so wie er ist, ohne Einschränkungen.

 

Deswegen muss sich die evangelische Kirche, will sie die Reformation nicht verraten, querlegen, wenn sie sieht, wie Reiche, Arme links liegen lassen oder gar nicht hereinlassen wollen, hier, bei uns oder in anderen Gegenden der Welt. Deswegen muss sie protestieren, wenn manche noch immer meinen, es gebe einen „gerechten" Krieg. Deswegen muss sie laut Halt rufen, wenn Mitglieder anderer Religionen um ihres Glaubens willen, Schwierigkeiten bekommen. Sie weiß ja selbst, wie das ist.

 

Zugegeben, eine solche Haltung birgt Sprengstoff. Aber keine Angst, die Kirche der Reformation wird nicht draufzahlen. Durch ihr soziales Engagement wird sie sich nicht verausgaben (höchsten politisch unbeliebt machen), durch ihre pazifistischen Appelle nicht lächerlich dastehen, vom Islam nicht überrollt werden.

 

Wenn eine Kirche nein sagt, dann hat das seine Gründe. Auch wenn das viele in der Kirche und außerhalb nicht verstehen. Es sind gute Gründe, für die sich die Kirche nicht entschuldigen muss. Immer wieder werden sich Frauen und Männer der Kirche kritisch zu Wort melden und ganz anderer Meinung sein als viele andere, "sei es gelegen oder ungelegen", wie es in kirchlichen Verpflichtungsdokumenten heißt. Sie machen es nicht aus Jux und Tollerei. Sie müssen es tun, es geht nicht anders.