Das Evangelische Wort

Sonntag, 27. 10. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfr. Wolfgang Olschbaur, Bregenz

„Jahr der Berge“

 

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? (Psalm 121,1)

Berge sind nicht nur Erhebungen in der Landschaft. Sie haben die Menschen seit jeher besonders interessiert, fasziniert und herausgefordert. Früher galten Berge als Orte des Schreckens und der Furcht.

Petrarca hat als erster einen Berg „um seiner selbst willen“ bestiegen. Mit der Beschreibung seines Abenteuers hat er eine neue Sorte Mensch geschaffen: Den Bergsteiger.

Bergsteigen ist Symbol für das Leben, für das Unterwegssein, für die Höhen und Tiefen, für die Herrlichkeit und Schutzlosigkeit, für Stille und Freiheit, für den Wechsel der Perspektiven, für Aussicht und Einsicht.

Luis Trenker, der Bergfex, bleibt mit seinem Film „Der Berg ruft“ unvergesslich. Extrembergsteiger Reinhold Messner empfiehlt den Berg als Ort, wo Menschen das Einfache und Kreatürliche wieder entdecken können. Der moderne Tourismus zeigt die Grenzen der Bergliebe auf. Zerstörte, vom Tourismus ausgebeutete Landschaften, bedrohte Lebensräume. Die UNO hat das Jahr 2002 zum „Jahr der Berge“ ausgerufen.

Im Roman „Spielplatz der Helden“ schildert Michael Köhlmeier, wie den Teilnehmern einer Grönlandexpedition im Laufe ihrer Wanderung durch die Berge allmählich klar wird, dass sie einander nichts zu sagen haben, dass sie einander fremd und Feind sind. Keine Bergkameradschaft, dafür erbarmungsloser Konkurrenzkampf und Demonstration eigener Überlegenheit!

Der Berg als Raum für Selbsterkenntnis.

In allen Religionen spielen Berge eine wichtige Rolle. Sie gelten als Wohnort der Götter. „Heilige Berge“ sind meistens die größten, die höchsten, die markantesten. Im Christentum sind Berge eigentlich gar nicht so wichtig, weil Gott ja über allem steht. Sie haben aber Bedeutung als Begegnungsstätten, Orte der Einsicht und der religiösen Erfahrung. In der Bibel sind die „Heiligen Berge“ eher Hügel: Golgatha, Zion, Tabor, selbst der Sinai ist harmlos im Vergleich zum Mount Everest und Kilimandscharo.

Abraham will seinen Sohn Isaak auf dem Berg Morija opfern.

Gott hält ihn davon ab. Mose erhält am Sinai die zehn Gebote. Elia erfährt am Karmel den Wandel aus tiefster Depression zu neuer Lebensfreude. Der Berg Zion in Jerusalem gilt seit König David als der „Nabel der Welt“.

Gottesbegegnung auf den Höhen der Berge, das ist ein biblisches Thema! Obwohl: Auch im Tal und in den Tiefen, in den Niederungen des Lebens, ist Gott zu finden, da vielleicht ganz besonders.

Ob der Glaube wirklich „Berge versetzen“ kann, sei dahin- gestellt. Vielleicht sind die größten Berge, die es zu versetzen gilt, diejenigen in unseren Köpfen und Herzen.

Wer heute an Zion und Jerusalem denkt, dem wird ganz anders zu Mute. Globaler Frieden und Versöhnung werden mit diesem Ort, mit dieser „Stadt auf dem Berge“, in Verbindung gebracht. Schon Jesaja träumt davon, dass alle Völker da hinaufziehen zum großen Friedenstreffen (Jesaja 2,3-4). Es ist ein Traum geblieben. Kriege haben die Menschheitsgeschichte geprägt und tun das bis heute. Aber der Zionsberg bleibt Symbol für die Hoffnung auf Frieden. Im „neuen Jerusalem“ (Offenbarung 21,10) wird es keine Tränen mehr geben - und Gott wird durch die Menschenstrassen gehen und in ihren Häusern wohnen.

Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe?

Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. (Psalm 121,1-2)