Das Evangelische Wort

Sonntag, 3. 11. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Pfarrer Klaus Niederwimmer, Klagenfurt

"Was betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir?"

So fragt sich der Beter des 43. Psalm.

Er fühlt sich bedroht und dies bereitet ihm Unruhe und betrübt ihn. Ich spüre, wie mir seine Sorge und Unruhe aus dem Herzen spricht. Nicht, weil ich mich persönlich bedroht fühle, aber es geschieht so vieles in der Welt, das mich sehr betroffen macht.

Ich denke an die Geiselnahme in einem Moskauer Theater und deren gewaltsame Befreiung aus der Hand tschetschenischer Terroristen, die weit über hundert unschuldigen Menschen das Leben gekostet hat.

Ich denke an die Terroranschläge auf Bali mit einer Unzahl von Opfern; Oder an die Selbstmordattentate in Israel und die Vergeltungsschläge, die kein Ende nehmen.

Leiden und Tod von unschuldigen Menschen in hundertfacher Weise.

Und: diese Liste ließe sich leider beliebig verlängern.

So vieles was in der Welt geschieht, belastet mich, betrübt mich, macht mich unruhig.

Gibt es keine Hoffnung auf Frieden, ist Gerechtigkeit nur ein Wort aus 13 Buchstaben aber nichts, was eine Chance auf Realisierung hat.

Ist Versöhnung nur ein Traum, den ein paar Idealisten nicht aufgeben wollen?

Ist die Wirklichkeit nicht die von Gewalt und Gegengewalt, von "So wie Du mir, so ich dir"?

Eine Spirale von Gewalt und Hass, die sich immer schneller dreht - Mit Tätern auf der einen und mit unschuldigen Opfern auf der anderen Seite?

 

Wer sind die Opfer, wer sind die Täter?

Wer hat das "Recht" zu töten auf seiner Seite?

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Gewalt und Gegengewalt? Oder bleibt nur noch das blanke Entsetzen angesichts von zunehmendem Hass und brutaler Gewalt?

Soll ich mich einfach zurückziehen in mein Schneckenhaus, die Rollläden herunterlassen und mein kleines Glück genießen?

Bleibt nur noch das Wegsehen, die Resignation oder die Trübsal über das Unabänderliche?

Hilft mein Mitleid oder mein Verständnis irgendeinem Opfer?

Ich suche nach Antworten und merke gleichzeitig, wie komplex die Probleme sind und dass sich einfache Antworten nach Recht und Unrecht verbieten. Manchmal sehe ich die Täter vor mir und verstehe sie in ihrem scheinbar ausweglosen Kampf um mehr Gerechtigkeit.

Manchmal sehe ich die Opfer vor mir und ich begreife nicht, warum gerade sie leiden müssen.

"Was betrübst du dich meine Seele und bist so unruhig in mir?“

In diesen Tagen besuchen viele die Gräber von lieben Menschen - Erinnern und Gedenken an Verstorbene prägt diese ersten Novembertage.

 

Ich weiß nicht, wie viel Trauer und Leid Menschen in diesen Tagen bewegt und ich frage mich: Wer tröstet sie, wer tröstet die Angehörigen der weltweit unschuldig zu Tode gekommenen Menschen.

Im vorletzten Kapitel der Offenbarung des Johannes finde ich ein wenig Trost für meine unruhige Seele:

"Am Ende der Zeiten wird Gott abwischen alle Tränen von ihren Augen. Da wird es kein Leid keine Schmerzen, keine Trauer - ja nicht einmal mehr den Tod geben."

 

Den Blick von dem diesseitigen Leiden auf die jenseitige Welt Gottes zu lenken, das kann ein Trost sein; Gerechtigkeit, die Gott schafft und nicht wir Menschen.

Vertröstung auf ein besseres Jenseits?

Nein, eher das Warten auf Gottes neue Welt und die Hoffnung, dass sich heute hier und jetzt etwas verändern lässt, wenn wir in Jesu Spuren wandeIn.

Er hat Versöhnung nicht nur gepredigt, sondern gelebt - und das unter Einsatz seines Lebens - das Leid ist auch ihm nicht erspart geblieben.

Nicht Vertröstung auf ein besseres Jenseits möchte ich durch diese Worte hören, sondern die Zuversicht, dass es eine Gerechtigkeit geben wird, die jenseits unserer menschlichen Vorstellungen liegt. Eine Gerechtigkeit, die wir Menschen nur ansatzweise verwirklichen werden können.

Ich bin davon überzeugt, dass mich meine Unruhe und mein Kummer nicht verlassen werden.

Das sinnlose Leiden und Sterben so vieler Menschen wird mich auch weiterhin belasten.

Darum möchte ich mithelfen, Wege zu suchen, die aus der Ungerechtigkeit in ein gerechteres Miteinander führen - und darauf vertrauen, dass am Ende der Zeiten Gott alle Tränen von unseren Augen abwischen wird.