Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 11. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

Superintendentin Mag. Luise Müller

Ob ich schon wanderte im finsteren Tal fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Psalm 23,4

Das dunkle Tal passt zur allgemeinen Novemberstimmung. Die Tage werden immer kürzer, immer dunkler. Der Nebel beherrscht Land und Leute. Die Welt erscheint grau in grau. Auch wenn eigentlich alles in Ordnung ist, schleicht sich leicht depressive Stimmung ein.

Was sollen da die sagen, die wirklich wie in einem dunklen Tal leben. Deren Leben durch den Tod, durch Krankheit, durch Einsamkeit die entscheidende Qualität verloren hat. Die sich in die Ecke gedrängt fühlen, oder allein gelassen, die man auf Abstand hält oder die von sich aus nichts und niemand an sich herankommen lassen. Die am eigenen Leib nicht nur die äußere, sondern auch die innere Dunkelheit spüren, beherrschend, belastend, beunruhigend.

Morgen sind es zwei Jahre, dass in Kaprun 155 Menschen ums Leben gekommen sind. Während unmittelbar nach dieser Katastrophe der Zorn, das "nicht wahr haben wollen“, das Untröstlich sein, das nicht begreifen zentral war, konnte im Verrinnen der Zeit langsam, ganz langsam die Sehnsucht nach Trost wachsen und in der Folge der Trost auch wirken. Nicht überall, aber doch bei vielen. Jetzt der Prozess - Aufarbeitung und erneutes Aufwühlen. Fehlende Antworten auf gestellte und ungestellte Fragen. Mediales Interesse, nachlassend zwar, aber doch immer noch da.

 

Da wird das Tal wieder dunkler, einsamer, scheinbar unentrinnbar. Und zugleich mit der Frage nach der fremden Schuld sind bei manchen auch unter der Trauer die eigenen Schuldgefühle da, weil sie dem geliebten Menschen, der da an diesem Samstagmorgen vor zwei Jahren im Tunnel umgekommen ist, so vieles schuldig geblieben sind.

Da stehen dann Fragen im Raum wie: Was habe ich selber versäumt? Was hätten wir noch bereden sollen, wo blieb ein unberechtigter Vorwurf im Raum stehen, wo sind wir nach einem Streit unversöhnt auseinander gegangen, wo sind wir in unseren Bildern gefangen geblieben und haben uns nicht mit der lebendigen Person auseinandergesetzt? Wo haben wir unserer Tochter, unserem Sohn, unserem Ehepartner weh getan und konnten nicht mehr um Verzeihung bitten?

Hat manche Trostlosigkeit auch damit zu tun?

 

Auseinandersetzung mit dem Tod eines geliebten Menschen ist meist auch Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld gegenüber diesem Menschen. Nicht immer haben wir das Glück eines versöhnten Abschieds. Nicht immer ist da dankbares Erinnern.

Nicht immer spüren wir den Frieden Gottes, manchmal tun wir uns sehr hart damit.

Kyrie Eleison. Herr, erbarme dich. Dieser Hilfeschrei wird gehört. Zumindest vor Gott können wir über das Versäumte sprechen.

 

Ganz im Vertrauen.

Wir sind, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht, nicht mutterseelenallein unterwegs in den dunklen Tälern. Gott ist bei uns. Und wenn wir wollen, dann können wir sein Erbarmen in Anspruch nehmen, es uns durch einen Menschen zusprechen lassen und anfangen, aus der Vergebung zu leben.

Ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab trösten mich.