Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 11. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Pfarrer Peter Pröglhöf (Salzburg)

“I bin koa Heiliger”, so sagt man und meint damit: Ich habe meine Fehler und Schwächen, zu denen ich auch stehe. Andererseits höre ich als Geistlicher auch immer wieder den Satz: “Na ja, Sie müssen ja so reden, das ist ja schließlich Ihr Beruf.” Also: Sind die Berufschristen, die Pfarrer und Pfarrerinnen, vielleicht auch die Religionslehrerinnen, die Heiligen, während alle anderen keine Heiligen sind?

Ein Blick ins Neue Testament zeigt etwas Überraschendes. Am Anfang der Briefe, die der Apostel Paulus schreibt, grüßt er die Empfängerinnen und Empfänger z.B. mit folgenden Worten:

“An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!”

Die “berufenen Heiligen” waren damals bestimmt keine bezahlten Berufschristen. Nach allem, was wir wissen, war das eine sehr bunte Mischung von Leuten, Ärmeren und Reicheren und sogar Sklaven. Und “heilig” im Sinne von “perfekt” waren sie auch nicht. Wir wissen von so manchen Missständen in diesen Gemeinden, mit denen Paulus in seinen Briefen aufräumen will.

Trotzdem nennt Paulus diese Menschen “Heilige”. Im Deutschen hat das Wort “heilen” die gleiche Wurzel. Ich meine, Heilige sind Menschen, die geheilt sind, geheilt von den falschen Lebenszielen. Und so, als geheilte Menschen, werden sie auch sensibel für das, was heilsam ist: heilsam für ihre Mitmenschen, heilsam für die Welt. Heilige sind Menschen, die sich für das einsetzen, was die Welt heilsam nötig hat.

Es gehört zu den großen Entdeckungen der Reformation, dass das der Beruf der Christinnen und Christen in der Welt ist. Es gibt also keine besondere Heiligkeit der Berufschristen, es gibt daher auch keine Priesterweihe, die den Pfarrer oder die Pfarrerin in einen besonderen Stand versetzen würde. Sondern in jeder Tätigkeit kann etwas von dem verwirklicht werden, was heilsam ist für die Welt und für die Menschen um mich. Und ich weiß, dass ich dabei nie perfekt sein werde, ja, mir vielleicht manches erscheint wie ein Tropfen auf dem heißen Stein. Trotzdem brauche ich darüber nicht heillos zu verzweifeln, sondern kann darauf vertrauen, dass Gott die Bruchstücke meines Tuns heil macht und auch die Wunden, die ich mir vielleicht an manchen Scherben geholt habe, heilt.

So kann ich sensibel bleiben, auf das zu hören, wo Gott mich als Heiligen brauchen kann. Und das kann auch wechseln. Es kann Lebensabschnitte geben, in denen ich in sehr unterschiedlichen Bereichen versuche, Heilsames zu verwirklichen. Ich denke an meinen eigenen Wechsel aus dem Gemeindepfarramt in meine jetzige Tätigkeit als Fachinspektor für den Religionsunterricht. Und das ist beides noch eine theologische Tätigkeit. Bei anderen Menschen kann ein solcher Wechsel sogar viel einschneidender sein.

Deshalb muss aber der frühere Lebensabschnitt nicht wertlos werden, er gehört zur Geschichte Gottes mit mir dazu. Gott legt mich nicht auf eine bestimmte Rolle fest, sondern er redet mich neu an und macht mir Mut, das Neue zu wagen. Und wie das so ist, wenn man einen Menschen neu anredet und ein neues Gespräch mit ihm beginnt, steht am Anfang ein Gruß. Schön, wenn es ein so ermutigender Gruß ist, wie der des Apostels Paulus an die Christen in Rom:

“An alle in Rom, die von Gott geliebt sind, die berufenen Heiligen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!”