Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 11. 2002,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

Landessuperintendent Peter Karner (Wien)

Was kann einem Prediger schon besseres passieren, als begeisterte Anhänger zu haben: Fans, die überallhin mitgehen, wo er auftritt, pardon, predigt. Fans, die ihm zujubeln, anerkennende Zwischenrufe machen und nach seiner Rede huldigend zu ihm nach vorne stürmen. „Typisch amerikanisch", ätzen dann konservative Christen gern. Aber, Hand aufs Herz, welcher österreichische Pfarrer, der in einer halb leeren Kirche vor sanft dahindösenden Leuten predigt, beneidet nicht doch irgendwie umschwärmte Kanzelstars. Da wird aus der faden geistlichen Veranstaltung gleich ein „spiritueller Event“, der allen Teilnehmern das angenehme Gefühl gibt, bei einer wichtigen Sache dabei zu sein.

Ob Prediger oder Popstar, sie brauchen das Volk, die "Gemeinde“ - aber wenigstens eine Art Publikum muss es sein. Mag sein, dass große Einzelgänger in früheren Zeiten dem Wind und dem Wetter gepredigt haben, oder den Fischen, den Vögeln und dem Vieh. Der gute Prediger will multimedial wahrgenommen werden: von der Kanzel bis zum frommen Kleinformat.

 

So verständlich der Wunsch des Predigers nach Echo, nach Erfolg, nach feed-back klingt - aber von seinem Herrn und Meister Jesus Christus hat er das nicht gelernt. Das Lukasevangelium 9/57 – 62 zeigt, wie erstaunlich cool Jesus auf die Avancen seiner Fans reagiert hat:

 

„Und als sie wanderten, sagte einer auf dem Weg zu Jesus: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst. Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel haben Nester, ich aber weiß nicht einmal, wo ich heute Nacht schlafen kann. Und Jesus sagte zu einem andern: Folge mir nach. Der aber antwortete: Erlaube mir vorher noch hinzugehen und meinen Vater zu begraben. Da sprach Jesus zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes. Und noch einer sagte: Ich will dir nachfolgen, Meister, erlaube mir aber, vorher noch von meiner Familie Abschied zu nehmen. Da sprach Jesus zu ihm: Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.“

 

So ein Verhalten ist erstaunlich und lässt aufhorchen. Der Starprediger frustriert seine Fans. Ja er stößt sie geradezu zurück. „Mein Herr, mit solchen flotten Sprüchen gewinnt man die Menschen am See bestimmt nicht!" - stand schon am nächsten Tag in der "Allgemeinen Fischerzeitung" zu lesen. "Sie haben eben ihre kleinen, aber wichtigen menschlichen Sorgen. Und das Wichtigste kommt zuerst, heißt es ja auch oft in Pharisäerkreisen."

 

Aber Jesus, der Lehrer und Prophet, durchschaut das Strohfeuer populistischer Begeisterung. Hat er schon damals geahnt, dass es bald heißen würde: „Da verließen ihn seine Anhänger alle!" Wer den Menschen wirklich etwas bringen will, riskiert vielleicht im Dienst der Menschlichkeit sein Leben; aber er will nicht nach Zeiten des Erfolgs und konsumierter Gefolgschaft wie ein Popstar verglühen.

 

Der heutige Bibelleser denkt unwillkürlich an ein bitteres Wort von Nietzsche: "Du willst dich verzehn- verhundert- vertausendfachen? Suche Nullen!“

 

Prediger und Propheten wie Jesus frustrieren die Leute ja nicht irgendwie. Das gelingt allen, die in irgendeiner Weise in der Öffentlichkeit agieren, ohne besondere Mühe. Sie frustrieren ganz gezielt. Sie kritisieren die geistige Unbeweglichkeit und die geistliche Sesshaftigkeit. Und - was dem Wiener wohl in der Seele wehtut: "Die schene Leich“, und alles andere, was den sado-masochistischen Seelenhaushalt ernährt. Und auch ein Jesus wusste, dass den Leuten nichts so schwer fällt, wie wirklich Abschied zu nehmen: von ihrem bisherigen Lebensstil, von der liebgewordenen Kleinstkriminalität bis zur gemütlich präsentierten Unmenschlichkeit.

Wenn man etwas von Jesus lernen kann, dann: dass die wahren Helfer der Menschheit von ihrem Lebensweg eher abschrecken, als ihren Anhängern goldene Berge zu versprechen.