Das Evangelische Wort
Sonntag, 1. 12. 2002, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Oberkirchenrätin
Dr. Hannelore Reiner (Wien)
Das
Foto auf meinem Adventkalender zeigt ein strahlendes Frauengesicht.
Es handelt sich um
Linda Biehl, eine 59jährige weiße Amerikanerin, deren Geschichte
mich nicht mehr los lässt.
Ihre
Tochter Amy hatte 1993 in Südafrika studiert - und war ein Opfer
der damaligen Straßenschlachten geworden.
zu
Tode gesteinigt von aufgebrachten schwarzen Jugendlichen.
Zum
Erstaunen ihres gesamten Bekanntenkreises gibt sie ihr behütetes
Leben in einer Vorstadt von Los Angeles auf und geht nach Kapstadt.
Zusammen mit ihrem Mann gründet sie ein Hilfsprogramm für Kinder
und arbeitslose Jugendliche in Südafrika. Zu den verschiedenen
Einrichtungen dieser Stiftung gehört auch eine Bäckerei. In dieser
arbeiten genau jene beiden schwarzen jungen Männer, die fünf Jahre
zuvor ihre Tochter ermordet hatten.
"Für
mich sind sie keine Killer. Für mich sind sie Kinder." sagt
Linda Biehl und stellt sich mit den beiden schwarzen Jugendlichen
lachend vor die Kamera.
Die
Trauer um ihre Tochter hat sie verarbeitet in einem liebevollen
Engagement für einen Neubeginn in Südafrika, für ein menschenwürdiges
Miteinander von Weiß und Schwarz.
Die
Geschichte der Linda Biehl, eine unwahrscheinliche Geschichte, ein
modernes Märchen? Ich meine, es ist eine adventliche Geschichte!
Linda
Biehl fügt sich ein in jene Reihe von Adventgestalten, die seit den
Zeiten der Bibel das so vertraute Denken von "Wie du mir, so
ich dir" auf den Kopf stellen. Statt Zeit und Kraft an
Rachegedanken zu verschwenden, setzen adventliche Menschen ihr Herz
und ihren Kopf dafür ein, dass zumindest ein Stück weit ein Leben
in versöhnter Gemeinschaft wieder möglich wird.
Der
Apostel Paulus schreibt in seinem Brief an die Christen in Rom:
Die
Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die
Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts.
Nacht
und Tag, Finsternis und Licht, Dunkel und Hell – das sind
vertraute Stichworte, die auch heutige Menschen mit der Adventszeit
verbinden. Der Apostel Paulus freilich denkt bei der Rede vom nahen
Tag in den 60er Jahren des 1. Jahrhunderts nach Christus an das nahe
Wiederkommen des Messias und an den Anbruch einer neuen Welt in
Frieden und Gerechtigkeit.
2000
Jahre sind in der Zwischenzeit vergangen. Der nahe Tag des Messias
ist für viele in Vergessenheit geraten. Das Licht des Christus aber
konnte nie ganz ausgelöscht werden. Immer wieder haben Menschen in
Jesu Namen und in seinem Geist gewagt, ein Licht anzuzünden,
mitunter mit zitternden Händen und weichen Knien und haben es dem
Dunkel entgegengehalten. Zugegeben, es ist oft kaum zu merken und
bloß ein schwacher Funke angesichts der Mächtigkeit von brutaler
Gewalt in dieser Welt. Darum ist es auch immer wieder der Lächerlichkeit
preisgegeben.
Aber
es leuchtet - allem Dunkel zum Trotz – auch heute an vielen Orten
in der Welt, in Südafrika genauso wie auch bei uns.
Der
erste Schritt dazu ist die Bereitschaft zur Vergebung. Eine
ausgestreckte Hand. Ein erstes gutes Wort. Und der Mut, endlich das
zu tun, wozu das Herz uns drängt.
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